Der Mann, der die Frauen belog - Roman
wühlen.«
»Verdankst du den Löwenanteil deiner Institutsgelder immer noch Leuten wie Riccalos Arbeitgeber? Mallory hat mir erzählt, dass der Mann nicht nur in Spendenausschüssen sitzt, sondern sich mit unsauberen Immobiliengeschäften befasst, bei denen hauptsächlich ältere Mitbürger über den Tisch gezogen werden.«
»Er ist nie verhaftet, geschweige denn angeklagt oder verurteilt worden. Nach New Yorker Maßstäben ist er ein vorbildlicher Bürger. Dass wir uns auch nie über die Finanzierung des Instituts einigen können, Charles! Von Rechts wegen müsste ich noch einen Orden dafür kriegen, dass ich diesen Leuten das Geld für einen guten Zweck abknöpfe. Aber ich bin durchaus flexibel. Wenn du wieder zu uns kommst, will ich mich gern nach anderen Geldquellen umsehen.«
»Besten Dank, aber mir geht es nur um die chinesischen Unterlagen …«
»Dein Verstand verkümmert da draußen unter diesen geistigen Nieten, Charles. Du gehörst hierher. Ich verdreifache die Mittelzuweisung für deine Abteilung –«
»Tut mir leid, aber –«
»Es ist kalt da draußen, Charles.«
»Da draußen« – das war für Effrim das Leben außerhalb seiner Denkfabrik. Vermutlich, sagte sich Charles, hat er damit gerechnet, dass es mir eines Tages zu viel werden würde, mich unter Menschen zu bewegen, in deren Augen ich exzentrisch und unangepasst bin.
»Können wir dem Vater des Jungen einen positiven Bescheid geben?«
»Ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass Robert Riccalo hinter diesen Aktivitäten steckt. Ich traue ihm nicht über den Weg. Ebenso wenig wie dir übrigens …«
Eine Stunde später klappte Charles in seinem Wohnzimmer die Mappe mit den Unterlagen über das chinesische Experiment zu.
In der tiefer werdenden Dämmerung hatte er plötzlich ganz deutlich ein Bild aus seiner Kindheit vor Augen. Eine knusprig braun gebratene Gans stand, umgeben von feinem Porzellan, funkelndem Silber und brennenden Kerzen, auf dem weiß gedeckten Tisch. Der Stuhl neben Malachai – Louisas Stuhl – war leer. Die Erwachsenen hatten Wein getrunken und lachten miteinander, im Hintergrund spielte heitere Mozartmusik, und der kleine Charles erkannte ganz deutlich, wie sich Louisas Lippen auf die von Malachai legten.
Noch war Amanda Bosch nur zweidimensional, nicht körperlich greifbar. Noch war er, Charles, also nicht akut gefährdet, nicht übergeschnappt. Er hatte nur ein bewegliches Bild geschaffen, das als ein etwas ausgefallenes Produkt seines eidetischen Gedächtnisses gelten mochte.
So weit, so gut.
Das rote Blinklicht meldete, dass auf dem Gerät des Richters ein Fax eingegangen war. Dank der geänderten Schaltung wurde das Antragsformular für eine Kreditkarte auf Mallorys PC umgeleitet. Sie las es mit dem Scanner in ihren Computer ein, formatierte es um, tippte ihren eigenen Text und kopierte das Schreiben für Harry Kipling, der auch ein Faxgerät besaß.
Sie kannte die beiden inzwischen gut genug, um ihnen Faxterror maßgeschneidert ins Haus zu liefern. Ob der Blinde von dem Drucker mit Blindenschrift Gebrauch machte, der, wie sie vom Hausmeister wusste, an seinen PC angeschlossen war? Sie tippte auch für ihn eine Nachricht: ICH BIN DIR AUF DEN FERSEN. KANNST DU MICH HÖREN? KANNST DU MICH SEHEN? KANNST DU SEHEN?
Das Schnurren zu ihren Füßen irritierte sie. Knolle sah aus genüsslich zusammengekniffenen Augen zu ihr hoch. In diesem Moment klirrte es in der Küche. Sie griff nach ihrem Revolver, und der Kater hob witternd die Nase.
Vor dem Küchentisch lagen Glasscherben in einer Wasserlache. Sie überprüfte alle Schränke, jedes nur mögliche Versteck. Das Streichholz fiel ihr ein, mit dem Charles die Vase in seinem Büro präpariert hatte, und sie suchte nach Holzstückchen oder ähnlichen kleinen Gegenständen. Nichts.
Der Junge war clever, aber wirklich zaubern konnte er natürlich nicht. Das Glas musste von selbst heruntergefallen sein. Trotzdem war sie sehr nachdenklich, als sie die Scherben zusammenfegte und den Boden trocken wischte.
Von nebenan hörte sie es poltern. Knolle stand buckelnd vor der Obstschale, die er heruntergeworfen hatte. Als ein Apfel auf ihn zurollte, wich er zurück, als stünde der Teppich in Flammen. Mallory schnippte mit den Fingern. Prompt sprang er an ihr hoch und in ihre Arme.
Ein neuer Trick?
Sie setzte ihn ab, schnippte noch einmal mit den Fingern. Sekunden später hatte sie Knolle wieder auf dem Arm.
Was kannst du noch, du Biest?
Sie ließ ihn fallen und
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