Der Mann, der Donnerstag war
Dampferchen, den Kurs auf einmal ändernd, auf eine große Landungsstelle, etwas oberhalb Charing Cross, zuhielt.
Die großen Quadern des Flußquais kamen Syrne so düster als gigantisch vor. Klobig und schwarz gegen den auffammenden Tag. Er vermeinte ge- rad, an der Riesensteintreppe eines ägyptischen Palastes zu landen – um dann die trotzigen Throne schrecklicher heidnischer Könige zu erschüttern. Er sprang aus dem Kahn auf eine schaumbedeckte Stufenwehr und stand da, ein düsteres dünnes Männchen, mitten unter himmelan getürmtem Mauerwerk. Die beiden Leute kehrten um und strebten wieder auf den Strom hinaus ... sie hatten nicht ein Sterbenswörtldin all die Zeit mit ihm gesprochen...
Das fünfte Kapitel
Das Festmahl unter hundert Ängsten
Erst war es Syme, als gehörte die Steintreppe einer schier aus aller Welt liegenden Pyramide an. Aber noch bevor er die Spitze erstiegen, war da auf einmal ein Mensch, lehnte sich an ein Geländer und sah geradaus über den Fluß hin. Ein Mensch – ein ganz herkömmlicher, üblicher Mensch, einen Seidenhut auf, in einem zweireihigen Gehrock mit Schößen, der mit der Mode mitlaufen konnte, und eine rote Blume im Knopfloch. Der, wie ihm Syme Schritt vor Schritt näher kam, nicht eine Miene verzog . . . Wie Syme nah genug war, konnte er durch das trübe, blasse Morgenlicht bemerken, daß dieses Menschengesicht lang war, blaß und gescheit, und nach unten zu, gerad um die Kinnwende, in einen dünnen, dunklen Spitzbart auslief, sonst überall sauber rasiert. Und daß dies Schnitzelchen Haar beinah wie ein Versehen war, so sehr war alles übrige auf das penibelste rasiert – in diesem scharf geschnittenen, asketischen, auf eigene Weise vornehmen Gesicht . . . Und dann zogs Syme noch näher – und er ersah all dies noch genauer – und die Gestalt rührte sich noch immer und immer nicht.
Zuerst fiel es Syme instinktiv bei, daß dies der Mann sein müsse, den er treffen solle. Dann aber, wie der Kerl sich gar nicht muckste, schloß er: daß er es nicht sein könne. Und aber zuletzt wieder wurde ihm gewiß, daß der doch etwas mit seinem verrückten Abenteuer zu tun haben müsse, denn er verhielt sich regungsloser, als sich jeder x-beliebige Unbekannte und Unbeteiligte verhalten hätte, dem man derart beinah auf die Zehen trat. Er war so reglos als wie aus Wachs und schien auch gerad solche Nerven wie eine Wachsfigur zu haben. Syme schaute immer und immer und immer wieder in dies blasse, vornehme, angenehme Gesicht – aber dieses Gesicht – sah je und je und je über den Fluß hinüber. Da nahm Syme das Papier von Buttons aus der Tasche, das seine Wahl beurkundete, und hielt es dem schönen Schwerenöter unter die Nase. Und da lächelte der Mann; und dies Lächeln konnte machen, daß dich der Schlag traf; denn dieses Lächeln war immer nur auf einer Seite, – es stieg die rechte Backe empor und die linke Backe herunter.
An und für sich würde das einem ja keinen solchen Schrecken einjagen. Es gibt genug Leute, die alle einen solchen nervösen Tic, ein solches verdrehtes Lächeln haben. Und darunter sind welche, denen das sogar reizend ansteht. Aber in den Umständen, in denen Syme sich befand – ums Morgengrauen auf so tödlichem Sendbotenweg über triefende ungeheuere Steinstufen – da konnte einem das schon ein wenig auf die Nerven gehn. Der schweigende Muß, der schweigende Mensch mit dem klassischen Gesicht, der Totentanz der vergangenen Nacht und dazu dieses krumme Lächeln . . . Dieser Lächelkrampf währte übrigens nur einen Moment – und das Gesicht des Mannes verfiel wieder in seine harmonische Melancholie. Und der Mann sprach – frei von jedem Unterton eines Mißtrauens oder Verdachts – gerad wie zu einem alten Kameraden. »Wenn wir in der Richtung auf Leicester Square gehen«, sprach er, »werden wir just zum Frühstück da sein. Sonntag will immer, daß recht früh gefrühstückt wird. . . Haben Sie geschlafen?«
»Nein«, sagte Syme.
»Ich auch nicht«, antwortete der Mann in ganz alltäglichem Ton. »Ich werde versuchen ... und mich nach dem Frühstück ein wenig aufs Bett legen.«
Durchaus gebildet, fein klangs – und doch so tot, daß es auffallend mit seinen fanatischen Gesichtszügen kontrastierte. Es schien fast: als ob all seine freundlichen Worte nur aus lebloser Konvenienz wären – und sein wirkliches Leben der Haß sei. Nach einer Pause sprach der Mann weiter:
»Selbstverständlich sagte Ihnen der Sekretär der Filiale alles, das
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