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Der Mann, der ins KZ einbrach

Der Mann, der ins KZ einbrach

Titel: Der Mann, der ins KZ einbrach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rob Broomby Denis Avey
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sicher, was es war. Mir kam die Idee, nach Manchester zu fahren und Bill Hedges zu finden. Ich überlegte sogar, in Nordengland zu bleiben und mir dort Arbeit zu suchen.
    Am Ende fand ich Bill wirklich, und es tat gut, ihn wiederzusehen. Er war verheiratet, und falls er unter ähnlichen Traumata litt wie ich, sagte er es nicht. Wir konnten uns nicht überwinden, von Auschwitz zu reden, sobald es über das Allgemeine hinausging. Unsere Erlebnisse passten nicht mehr in unser Leben. Bill hatte den langen Marsch überstanden und war nach Hause gekommen, das war schon etwas, aber wir beide wollten den Krieg hinter uns lassen und wieder einen Platz in einer Welt finden, die uns nicht begreifen konnte.
    Zu der Zeit wurden meine Magenkrämpfe immer schlimmer. Wenn sie auftraten, ging ich in die Knie und wand mich vor Qual. Gleichzeitig bekam ich höllische Kopfschmerzen. Ich war ständig erschöpft und fühlte mich, als würde ich auseinanderfallen. Meine Zunge war schwarz wie das Pik-Ass. Ich brauchte schnellstens einen Arzt.
    Der Arzt fackelte nicht lange. Ich wurde sofort ins Manchester Royal Infirmary gebracht, wo die Mediziner genauso vor einem Rätsel standen. In der Wüste hatte ich Malaria und Sandmückenfieber bekommen, in Italien Ruhr und Krätze, und Gott allein wusste, womit ich mich in Auschwitz angesteckt hatte. Im Lager war oft von Typhus die Rede gewesen, aber das konnte nie und nimmer die einzige Seuche sein, die dort grassiert hatte.
    Die Ärzte untersuchten meine Lunge und alles andere, ehe einer der Professoren der Sache auf den Grund ging und eine systemische Tuberkulose feststellte. Er sagte, sie säße in meiner Kehle, in meiner Lunge, in meinem Magen und in den Eingeweiden. Ich wusste, dass es sich um eine ernste Erkrankung handelte, aber nachdem ich so lange neben den jüdischen Zwangsarbeitern geschuftet hatte, war es kaum verwunderlich, dass ich mich angesteckt hatte. Der Professor erklärte mir, ein größerer Eingriff sei notwendig und dass ich monatelang im Krankenhaus liegen müsse, vielleicht sogar Jahre. Er bestand darauf, dass mir das gesamte Vorgehen ausführlich erläutert wurde, ehe ich mich mit der Operation einverstanden erklären durfte, und die Ärzte stellten sich um mein Bett auf und gingen alles mit mir durch.
    Für mich war es leichter zu verstehen, wenn es in Ingenieursbegriffen ausgedrückt wurde. Sie würden mir ein gutes Stück von meinen Eingeweiden herausschneiden und die Leitung wieder schließen. Was sie vorhatten, war eine größere Klempnerarbeit.
    Als ich aufwachte, hatte ich eine fünfzehn Zentimeter lange Narbe am Unterleib. Ich hatte damit gerechnet, dass die Narbe nicht gerade kurz sein würde, aber ich war dennoch erschrocken. Die Ärzte hatten die Wunde vernäht, aber sie klaffte immer wieder auf, und sie nähten sie jedes Mal wieder zu, doch irgendwann wollte das Fleisch nicht mehr zusammenwachsen. Der Riss war fünf Zentimeter breit. Ich war körperlich völlig ausgelaugt. Es dauerte ein halbes Jahr, bis die Wunde sich richtig geschlossen hatte.
    Bill hat mich nie besucht und mein Vater nur einmal. Ich war nach Manchester gezogen, um neu anzufangen, vor allem aber, um den Menschen, die ich kannte, und der entsetzlichen Frage »Was hast du im Krieg gemacht?« zu entkommen. Jetzt kämpfte ich um mein Leben und war dankbar, noch zu atmen. Mir war nicht klar gewesen, wie lange es dauern würde, bis ich wieder auf die Beine kam. Im Krankenhaus bekam ich aber wenigstens die ersehnte Ruhe und Anonymität.
    Die Gedanken an Auschwitz wichen immer weiter zurück. Ich interessierte mich nicht für die erste Welle der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse gegen Männer wie Reichsmarschall Hermann Göring oder die anderen militärischen Führer wie Alfred Jodl, Wilhelm Keitel und wie sie alle hießen.
    Reichsführer- SS Heinrich Himmler hatte sich der irdischen Gerechtigkeit bereits entzogen. Kurz nachdem er im Mai 1945 von britischen Truppen festgenommen worden war, hatte er Selbstmord begangen. Er war der Hauptverantwortliche für die Verbrechen, die ich beobachtet hatte, die Vernichtungslager und die Zwangsarbeit. Wie alles andere ging sein Tod damals völlig an mir vorbei.
    Die Anklage gegen den Vorstand der IG Farben wegen Beteiligung an den Zwangsarbeiterprogrammen war noch in Vorbereitung, als ich gegen die Tbc kämpfte. Als ich wieder auf den Beinen war, lief der Prozess schon längere Zeit.
    Einige der alliierten Überlebenden von E715 gaben 1947 eidliche

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