Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Mann, der ins KZ einbrach

Der Mann, der ins KZ einbrach

Titel: Der Mann, der ins KZ einbrach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rob Broomby Denis Avey
Vom Netzwerk:
und nervös. Ich erzählte ihr, was ich ihr erzählen konnte, und dann verabschiedeten wir uns vor der Wirtschaft voneinander. Ich begleitete sie nicht nach Hause.
    Dieses Treffen wühlte mich auf. Die Soldaten waren in den Kampf gezogen, und viele hatten ihr Leben verloren. Der Krieg war gerade vorüber, und schon waren sie vergessen, als wären über ihren Köpfen die Wellen zusammengeschlagen. Solche Erfahrungen machten meinen seelischen Aufruhr umso schlimmer.
    Ich war noch nicht lange wieder zu Hause in Essex, als ich einen merkwürdigen Anruf erhielt. Er kam von einem Mann, der sagte, er sei jüdischer KZ -Häftling in Auschwitz III gewesen. Im Lager hatte ich ihn nicht sehr gut gekannt; er hatte mich nie um Hilfe gebeten, und meines Wissens hatte ich ihm auch nie etwas geschenkt. Wir alle kannten ihn als den »Mops«. Irgendwie hatte er meinen richtigen Namen herausgefunden und über das Rote Kreuz Kontakt zu mir aufgenommen. Ich war beeindruckt. Ich war sehr vorsichtig gewesen, und der Mops hatte nicht einmal zu den Häftlingen gehört, mit denen ich zu tun gehabt hatte, und trotzdem rief er mich aus Paris an in einer Zeit, in der internationale Telefonate noch etwas Außergewöhnliches waren.
    Er erzählte mir alles über den Todesmarsch der jüdischen KZ -Häftlinge. Er sagte, er habe an jedem Tag des Marsches Hunderte von Schüssen gezählt, und viele Häftlinge seien abgeschlachtet worden. Wie durch ein Wunder sei er durchgekommen. Was ich von ihm hörte, bestätigte mir, was ich gesehen hatte, doch es war der erste konkrete Hinweis auf Überlebende. Ich notierte mir in mein Büchlein seinen Namen als »Merge«, mit einer Pariser Adresse. Ich habe nie wieder von ihm gehört, aber nach zwei oder drei Wochen standen unerwartet vier jüdische Jungen vor der Tür. Der Mops hatte sie geschickt. Der Älteste war achtzehn, die anderen um die vierzehn. Die vier waren höfliche Jungen aus Ilford. Sie waren keine KZ -Überlebenden, sondern hatten während des Krieges in Großbritannien gelebt. Vielleicht waren sie wie Susanne mit einem Kindertransport ins Land gekommen. Sie baten um nichts, und ich wusste ihnen eigentlich auch nicht zu helfen. Wir unterhielten uns ein bisschen, und meine Mutter tischte ihnen Essen auf. Dann verabschiedeten sie sich und ließen uns verwirrt zurück.

18. Kapitel
     
     
    I n der Kaserne von Winchester wurde ich vor Offiziere bestellt. Sie wollten wissen, ob ich etwas über meine Zeit als Kriegsgefangener zu berichten hätte. Das hatte ich allerdings, aber wo sollte ich anfangen? Als ich mich bemühte, ihnen Auschwitz zu schildern, merkte ich sofort, dass sie es gar nicht aufnehmen konnten. 1945 wusste man zu wenig über die Konzentrationslager, und für mich war es, als wäre mir eine Tür vor der Nase zugeschlagen worden. Ich bekam sie nicht wieder auf.
    Ich berichtete ihnen über die Zwangsarbeit, die Prügel und die willkürlichen Morde, die Gaskammern und Krematorien – alles, was ich wusste, doch in der englischen Umgebung klang es selbst für mich weit hergeholt, und mir versagten die Worte. Falls sie von den Arbeitslagern wussten, war ihnen offensichtlich nicht bekannt, dass alliierte Soldaten an der Seite der KZ -Häftlinge zur Arbeit gezwungen worden waren. Ihre Körpersprache verriet, dass es ihnen unangenehm war, davon zu hören. Wie die Leute in meinem Dorf litten sie am Syndrom der glasigen Augen.
    Vielen ehemaligen Kriegsgefangenen wurde das Gefühl vermittelt, sie hätten ihr Land im Stich gelassen, weil sie zugelassen hatten, in Gefangenschaft zu geraten. Niemand sprach es offen aus, aber uns kam es so vor, als ständen wir unter Verdacht. Statt als Opfer der Zwangsarbeiterprogramme Nazideutschlands anerkannt zu werden, behandelte man uns beinahe so, als hätten wir unwissentlich die deutsche Kriegsmaschinerie unterstützt. In keiner Weise wurden wir wie heimgekehrte Helden behandelt. Ich gab es auf und verließ das Zimmer.
    Offiziell redete ich danach jahrzehntelang nicht mehr über Auschwitz. Ich glaube, später wurden Formulare ausgegeben, in die man seine Erlebnisse als Kriegsgefangener eintragen sollte. Sie ersparen den Offizieren wahrscheinlich die Peinlichkeit der persönlichen Begegnung. Doch da war für mich das Leben schon weitergegangen. Wir hatten getan, was wir konnten, um die Arbeiten auf der IG -Farben-Baustelle zu sabotieren, und hatten genauso gelitten wie diejenigen, die bis zum Ende kämpften. Wir hatten das dunkelste Kapitel der

Weitere Kostenlose Bücher