Der Mann, der ins KZ einbrach
Erklärungen ab, die von der Anklage verwendet wurden. Mich fand niemand. Mir ging es noch immer sehr schlecht, und ich lag fern von zu Hause im Krankenhaus und war von allem abgeschnitten, was vor sich ging. Ich wäre ohnehin nicht in der Verfassung gewesen, in den Zeugenstand zu treten oder auch nur eine Aussage zu machen, die man verlesen konnte.
Nach vielen Wochen im Manchester Royal Infirmary wurde ich ins Baguley Sanatorium verlegt, um wieder zu Kräften zu kommen. Tbc-Krankenhäuser waren damals zugige Einrichtungen, und frische Luft war das Heilmittel. Ich lag auf einem Einzelzimmer mit zwei gegenüberliegenden Türen, die quergeteilt waren, wie wir sie in den Ställen auf dem Hof hatten. Man konnte die obere und die untere Hälfte unabhängig voneinander öffnen. Ganz egal, welche Jahreszeit oder welches Wetter wir hatten, die obere Hälfte stand immer einen Spalt weit offen, ebenso die Fenster. Nachts wurde der Spalt ein bisschen verengt, aber das machte kaum etwas aus. Die Bettdecken hatten eine Gummihülle zum Schutz gegen den Regen, und im Winter schaufelten die Pfleger regelmäßig mit einer Kehrichtschaufel den Schnee von meinem Bett. Das Zimmer war im Grunde ein Dach ohne richtige Wände, sodass der Wind und der Schnee einfach hindurchwehten. Die Decken sollten mich warm halten, aber selbst darunter war es kühl, das können Sie mir glauben.
Dort zu liegen war noch das Einfachste. Was ich wirklich hasste, waren die Injektionen in den Hintern, die ich zweimal täglich bekam. Wenn das erledigt war, musste ich eine Medizin einnehmen, mit der man die Wände hätte abbeizen können. Vielleicht gab es deshalb keine Wände.
1947 war fast vorbei, als ich das Sanatorium verlassen konnte. Mehr als achtzehn Monate hatte ich im Krankenhaus gelegen. Bald darauf, am 8. Dezember, erhielt ich Nachricht von meinem Vater, dass meine Mutter schwer erkrankt sei; ich solle sofort nach Hause kommen. Ich ging unverzüglich zum Bahnhof von Manchester und erfuhr zu meiner Bestürzung, dass der nächste Zug nach London erst in sechs Stunden fuhr. Als ich endlich unterwegs war, erwartete mich eine schrecklich langsame Reise. In London musste ich umsteigen und auf einen Nahverkehrszug zum Dorf warten. Ich kam erschöpft und zu spät an. Meine Mutter war bereits gestorben.
Schon als ich aus dem Krieg nach Hause kam, hatte ich ihr angemerkt, dass sie nicht gesund war. Ihr goldenes Haar, das ihr stets das Aussehen einer Frau auf einem Gemälde von Tizian verliehen hatte, war grau geworden. Sie hatte den Preis für unseren Krieg gezahlt.
Vater war mit ihr auf einem Einkaufsbummel in Epping gewesen. Sie hatte sich gesetzt, um neue Schuhe anzuprobieren, und war vom Schemel gefallen. Er brachte sie sofort ins Krankenhaus, aber man konnte nur wenig für sie tun. Sie starb binnen weniger Stunden an einer Hirnblutung. Meine Mutter war ein wunderbarer, liebevoller Mensch gewesen. Sie wurde nur neunundfünfzig Jahre alt.
Nach dem Begräbnis wurde mir klar, dass North Weald mir nichts mehr bieten konnte, und ich verließ das Dorf meiner Kindheit endgültig. Ich kehrte nach Manchester zurück, entschlossen, mir dort eine Zukunft aufzubauen.
Einen Job zu finden dauerte ein wenig. Viele Firmen bezeichneten mich als überqualifiziert, und natürlich stach ich auch durch meinen südenglischen Dialekt heraus. Damals gab es in Nordengland eine Menge Vorurteile gegen Leute aus Südengland und umgekehrt.
Ich bin von jeher ein praktischer Mensch gewesen. In der Wüste hatte ich den Carrier am Laufen gehalten, und vor dem Krieg hatte ich immer an Autos und Motorrädern herumgeschraubt, also kaufte ich mir ein paar Werkzeuge und bekam eine Stelle als Wartungsmechaniker bei einer Firma mit einem bescheidenen Namen, der Winterbottom Book Cloth Company im Stadtteil Weaste, Manchester. Das war immerhin ein Anfang. Sie stellte Material zum Buchbinden her und ein speziell gestärktes Gewebe für technische Zeichnungen, das als »Imperial Tracing Cloth« bekannt war.
Bald darauf lernte ich eine junge Frau namens Irene kennen. Sie war eine echte Partybiene, überschäumend und leicht zu begeistern. Wir heirateten ziemlich bald und zogen zu meiner Schwiegermutter nach Burnage in Süd-Manchester, bis wir eine eigene Wohnung fanden.
Acht Monate später hatte ich Glück auf der Arbeit und bekam die Gelegenheit, mich zu bewähren. Die Dampfmaschinen, mit denen in der Fabrik fast alles betrieben wurden, fielen aus, und die Zukunft von Winterbottom war in
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