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Der Mann, der ins KZ einbrach

Der Mann, der ins KZ einbrach

Titel: Der Mann, der ins KZ einbrach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rob Broomby Denis Avey
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als ich Susannes Hand auf der Schulter spürte.
    Eine ganze Weile herrschte Schweigen. Dann schlug jemand vor, dass wir uns erst einmal setzen sollten. Das Wort »Tee« fiel. Gott sei Dank; so bekam ich wenigstens etwas zu tun. Schließlich war ich der Gastgeber. Ich atmete ein paarmal tief durch, riss mich zusammen, rückte das Sofa zurecht und bot allen Platz an.
    Jetzt fiel es uns leichter. Lynn erzählte, sie habe von meiner Existenz gewusst, seit sie Peter vor vielen Jahren kennenlernte. Ernie hatte ihnen von dem englischen Kriegsgefangenen namens Ginger erzählt.
    »Ich habe immer gewusst, dass es Sie gibt«, sagte Lynn, »aber wir wussten nicht, dass Sie in Wirklichkeit Denis heißen.« Sie erzählte, wie sie die Geschichte während eines Wochenendbesuchs bei Ernie zum ersten Mal gehört hatte. »Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie viel ihm diese Erinnerung bedeutet hat. Ich habe Ihre Geschichte vierzig Jahre, nachdem sie geschehen war, zum ersten Mal gehört. Für ihn war es sehr wichtig, dass Susanne von seinem Überleben wusste.« Sie unterbrach sich kurz. »Niemand hat das Leben mehr geliebt als Ernie. Es war herrlich, bei ihm zu sein. Er war ein wunderbarer Geschichtenerzähler. Er hatte ein großartiges Leben.«
    Susanne hatte geduldig versucht, mir irgendetwas in die Hand zu drücken. Ein bisschen steif, als hätte sie es geprobt, nutzte sie nun die Gelegenheit. »Ich freue mich, dass wir diese Aufnahme für Sie haben. Ernie hat sie 1995 machen lassen«, sagte sie und reichte mir eine DVD .
    Peter erklärte, dass es sich um einen kurzen Auszug aus Ernies Lebensgeschichte handelte, die bei der Shoah-Stiftung aufgezeichnet worden war. »Ich finde, Sie sollten sich das gleich ansehen, Denis«, fügte er hinzu.
    Wir stiegen die Wendeltreppe zum Zwischengeschoss hinauf, wo wir Weihnachten die Geschenke öffnen und mit Freunden und Familie etwas trinken. Ich ließ mich neben Susanne aufs Sofa sinken, während jemand die DVD einlegte.
    Es dauerte einen Augenblick, bis der Fernseher hell wurde, dann aber sah ich Ernst als Standbild auf dem Schirm. Er musste zu der Zeit um die siebzig gewesen sein und wirkte ziemlich fit. Sein dichtes graues Haar trug er aus der Stirn zurückgekämmt, und er trug ein schickes blaues Hemd, das am Kragen offenstand. Ich erkannte das sympathische Gesicht, das ich auf den Fotos gesehen hatte, und plötzlich erschien der junge Mann von der Baustelle der Buna-Werke vor meinen Augen. Er saß in einem Zimmer voller Bücherregale, und über seine rechte Schulter hinweg war eine kleine Tischlampe zu sehen.
    Offenbar erzählte er gerade von Auschwitz, denn er wirkte sehr ernst. »Ja, das ist er«, sagte Susanne, als sie sein Gesicht erblickte. Für sie musste es das erste Mal sein, dass sie einen Teil des Interviews sah, und es war bestimmt nicht leicht für sie. Er war ihr Bruder gewesen, aber wir würden es zusammen durchstehen.
    Plötzlich belebte sich das Standbild, und Ernie sprach zu uns. Er erzählte eine Geschichte aus dem Lager. In dieser Geschichte ging es um zwei tschechische Juden aus Prag, die sich mit einem Zivilisten anfreundeten. Dieser schmuggelte Lebensmittel für sie ein, die er von ihren nicht inhaftierten Freundinnen bekam. Es war eine faszinierende Einleitung.
    Doch dann erzählte Ernie von etwas, das mir vertrauter war. Ich glaubte genau zu wissen, um was es ging. »Ich hatte ebenfalls Glück«, hörte ich ihn sagen. Er berichtete, er habe deutschen Arbeitern Suppe bringen müssen. Plötzlich ergab alles Sinn. Ich hatte damals schon angenommen, dass er eine Art Bote sei, und nun bestätigte es sich. Das also war der Grund, weshalb er sich auf der Baustelle freier hatte bewegen können als andere Häftlinge.
    Er beschrieb, wie er die englischen Kriegsgefangenen beobachtet hatte. Er hatte ihnen sagen wollen, dass er eine Schwester in England habe. Einen bestimmten Gefangenen in Khakiuniform habe er besonders oft beobachtet, sagte er. Und dann beschrieb er ihn. Ich wusste, dass er von mir sprach.
    Er sagte, er habe mich für einen Schweißer gehalten und darauf gewartet, dass ich einen Zigarettenstummel fallen ließ. Es passte alles zusammen. Ich erlebte den Augenblick noch einmal, während er unsere erste, ein wenig steife Begegnung schilderte, die ein Menschenalter zurücklag. Ernst hatte sich vorgestellt und mich nach meinem Namen gefragt, und ich hatte geantwortet: »Ginger.«
    Er hatte meinen Namen damals »Gingy« ausgesprochen, und das tat er auch diesmal. Ich

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