Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Mann, der ins KZ einbrach

Der Mann, der ins KZ einbrach

Titel: Der Mann, der ins KZ einbrach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rob Broomby Denis Avey
Vom Netzwerk:
beißende Kälte im Wesentlichen so, wie auch ich es in Erinnerung hatte. Er schätzte, dass zehntausend Personen von Auschwitz III verlegt wurden, dazu dreißigtausend aus dem Stammlager. Mit vorgehaltener Waffe wurden sie an diesem schrecklichen Tag zu einem mehr als sechzig Kilometer langen Marsch nach Gleiwitz gezwungen.
    Für die allermeisten Insassen war ein solcher Marsch zu dieser Jahreszeit und bei ihrer Kleidung, ihrem Gesundheitszustand und der körperlichen Auszehrung völlig unmöglich. »Sie fielen um wie die Fliegen«, sagte Ernie, »und wer umfiel, wurde erschossen.«
    »Sieht er nicht traurig aus?«, fragte Susanne, als der Ausschnitt zu Ende war. »Er hat alles noch einmal durchlebt.«
    Sie warteten auf meine Reaktion, aber ich konnte sie nicht in Worte fassen. Ich war glücklich, dass Ernst sich an mich erinnerte und noch gewusst hatte, dass ich ein klein wenig zu seinem Überleben beigetragen hatte.
    »Ich kannte die Geschichte noch gar nicht«, sagte Susanne. »Es ist wundervoll.«
    In diesem Moment erst wurde mir klar, dass das Video auch für sie eine Art Offenbarung gewesen war. Susanne hatte getan, was sie konnte, aber sie hatte nie gewusst, auf welche Weise ihr Paket mit den Zigaretten ihrem Bruder geholfen hatte, am Leben zu bleiben.
    »Während des Krieges konnte ich nicht viel für ihn tun«, vertraute sie mir an, »aber ich war glücklich, dass das Paket geholfen hat.«
    Sie schwieg kurz; dann wünschte sie mir ein langes Leben und viel Glück, was in meinem Alter schon einiges bedeutet.
    Ich erzählte ihr von meinen vergeblichen Versuchen, sie zu finden, als es mir wieder besser ging, weil ich meinen Frieden mit ihr machen wollte. »Ich wünschte, ich hätte Kontakt zu Ihnen gehalten«, sagte ich.
    »Ja«, erwiderte sie, »das wäre schön gewesen, als wir noch jünger waren.«

22. Kapitel
     
     
    M eine Geschichte schlug hohe Wellen, als die ersten Sendungen ausgestrahlt wurden. Leute, von denen ich seit Jahrzehnten nichts gehört hatte, setzten sich mit mir in Verbindung. Am meisten freute mich ein Anruf von Henry Kamm, einem ehemaligen Korrespondenten der New York Times , der den Pulitzerpreis erhalten hatte und jetzt in einer umgebauten Mühle in Südfrankreich lebt. Wie jeden Morgen ging er mit seinem Computer ins Internet, klickte auf die Nachrichtenseite des BBC World Service und entdeckte Robs Beitrag über einen britischen Kriegsgefangenen und Auschwitz. Henry spitzte die Ohren, als er von dem jüdischen Häftling namens Ernst hörte, und erkannte bald, dass von seinem alten Freund Ernie Lobet die Rede war. Ich freute mich sehr, von ihm zu hören, und die freundlichen Worte darüber, wie ich Ernst zu helfen versucht hatte, gaben mir enormen Auftrieb. Kurz darauf traf ein Paket aus Frankreich ein. Als ich es öffnete, lagen Exemplare seiner Bücher darin. Ich blätterte sie durch, und auf dem Vorsatzblatt fand ich eine anrührende handschriftliche Widmung für mich. Ich werde sie hier nicht wiederholen, aber ich werde sie für den Rest meiner Tage behüten wie einen Schatz.
    Seitdem stand das Telefon nicht mehr still. Ich wurde zweimal in die Downing Street eingeladen und zum Mittagessen ins Oberhaus ausgeführt, und ich habe an gut besuchten Versammlungen sowohl in der Cambridge Union als auch bei der Oxford University’s Chabad Society for Jewish Students teilgenommen.
    In den folgenden Monaten kamen zahlreiche Fernseh-, Radio- und Zeitungsinterviews auf mich zu, mehr als ich je gedacht hätte. Ich wurde von der International Raoul Wallenberg Foundation geehrt, die mir eine Urkunde für meine Verdienste überreichen und den Künstler Felix de la Concha schicken wollte, um mich malen zu lassen.
    Ich sprach in Schulaulen und redete vor dem Holocaust Educational Trust in London, eine Woche nachdem ein Spezialist mir frei heraus – sehr frei heraus – offenbart hatte, dass ich auf meinem verbliebenen Auge das Sehvermögen einbüßen würde. Auf Anweisung des Arztes setzte ich mir daher eine dunkle Sonnenbrille auf, um das Auge vor dem Scheinwerferlicht zu schützen, als ich in Blazer und Krawatte auf das Podium trat. Rob meinte später, ich hätte ausgesehen wie ein gealterter Jack Nicholson an einem schlechten Tag. Er sagte mir, die Ansprache müsse kurz sein, weil wir nur begrenzt Zeit hätten; ich solle sofort zur Sache kommen. Als ich mich erhob und mit meinen Erlebnissen in Ägypten begann, nahm er an, dass es ein langer Abend würde. Am Ende hatte ich nur um zehn

Weitere Kostenlose Bücher