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Der Mann, der ins KZ einbrach

Der Mann, der ins KZ einbrach

Titel: Der Mann, der ins KZ einbrach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rob Broomby Denis Avey
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Der Zwischenfall versetzte unserer Moral einen schweren Schlag, aber wir mussten weitermachen. Später wurden Behauptungen aufgestellt – und vom Roten Kreuz geglaubt –, dass die Jungs umgekommen waren, weil sie sich die »Show« hatten ansehen wollen, aber das stimmt nicht. Sie hatten sich in Sicherheit gewähnt.
    Die Leichen wurden auf einem Friedhof begraben, der zur Pfarre St. Mariä Himmelfahrt in Oświęcim gehörte. Ich wurde mit Bill Meredith, einem Kameraden aus Liverpool, dorthin geschickt, um an der Mauer ein Massengrab auszuheben. Am Ende eines Weges stand eine kleine Kapelle. Zum ersten Mal sah ich Grabsteine mit Fotos darauf. Sie beeindruckten mich sehr.
    Wir zogen uns bis zu den Hüften aus und begannen zu graben. Als wir fertig waren, kam ein Lkw mit den Toten auf der Ladefläche. Ein paar Kameraden waren dort, aber es gab keine Zeremonie und keinen Gottesdienst, soweit ich mich erinnern kann. Sie reichten uns die Leichensäcke herunter, und Bill und ich legten sie Seite an Seite in die Erde. Es war wie in der Wüste. Zum ersten Mal seit viel zu langer Zeit dachte ich an die Männer, die ich im Sand zurückgelassen hatte, und an Les, den ich nicht hatte beerdigen können.
    Man ließ uns keine Zeit, den Toten unsere Reverenz zu erweisen. Wir mussten mit dem Lkw zurückfahren, ohne die Leichen auch nur mit Erde bedeckt zu haben. Ich weiß nicht, wer sie begraben hat. Drei Wochen später fiel eine Bombe auf den Friedhof, und ihre letzte Ruhestätte wurde vernichtet. Nach Kriegsende wurden die Leichen, die identifiziert werden konnten – und einige, bei denen es nicht möglich war –, auf einen Soldatenfriedhof in Krakau gebracht, wo sie seither in Frieden ruhen.

14. Kapitel
     
     
    S eit ich meiner Mutter wegen Ernst geschrieben hatte, waren Monate vergangen. Hin und wieder hatte ich ihn auf der Baustelle gesehen, hatte aber nichts von zu Hause gehört. Deshalb wusste ich nicht, ob meine Mutter den Brief bekommen und Ernsts Schwester Susanne in Birmingham verständigt hatte und ob Susanne überhaupt noch dort wohnte. Den Versuch war es wert gewesen, aber ich hielt die Sache nun für aussichtslos. Die Postverbindung über das Rote Kreuz stellte eine Rettungsleine dar, aber sie wurde immer wieder unterbrochen.
    Nach einigen Monaten traf ein Brief ein, der mit einer mir unbekannten Handschrift an mich adressiert war. Ihm folgte ein Paket. Der Brief war auf Englisch, und ich öffnete ihn ohne einen Gedanken an Ernst. Ich glaube, das Schreiben begann mit »Lieber Ginger« und war mit »Susanne« unterzeichnet. Es war an Ernst gerichtet, aber so geschrieben, als wäre ich der Adressat. Susanne erwähnte, dass sie Zigaretten schicken werde. Es hatte funktioniert.
    Ein Brief meiner Mutter bestätigte, dass sie zu Susanne Kontakt aufgenommen und ihr klargemacht hatte, dass Zigaretten die einzige Möglichkeit seien, Ernst zu helfen. Nun lag es an ihr. Ich öffnete das Paket, und da waren sie: zweihundert englische Players-Zigaretten. Die, die mein Onkel mir schickte – und die nicht immer durchkamen –, waren 555er. Die Players waren für Ernst, und in dem Paket lagen mehr davon, als ich seit Monaten gesehen hatte.
    Es war ein Wunder. Ernsts Schwester war wohlauf und in Sicherheit. Vor allem wusste sie nun, dass ihr Bruder noch lebte und Häftling in Auschwitz war. Ich hoffte nur, dass sie nicht wusste, was der Name bedeutete.
    Wir hatten eine menschliche Verbindung hergestellt, die mehr umfasste als den Inhalt des Pakets, so wertvoll er auch war. Allein schon der Kontaktbrief überwand das Böse des Konzentrationslagers. Ich war außer mir vor Freude. Jetzt musste ich Ernst den Brief und die Zigaretten zukommen lassen, und das bedeutete, beides auf das Gelände des IG -Farben-Werkes zu schmuggeln. Manchmal wurden wir durchsucht, aber ich hatte immer Glück.
    Zigaretten waren in den Lagern kostbarer als Gold. Als ich mit Hans den Platz tauschte, hielt der Kapo unser Leben in der Hand, und ich hatte ihn mit fünfzig Glimmstängeln bestochen, in die andere Richtung zu blicken, fünfundzwanzig im Voraus, fünfundzwanzig später. Fünfzig Zigaretten bedeuteten in Auschwitz ein fürstliches Vermögen, und jetzt konnte ich Ernst viel mehr davon geben.
    Ich habe nie richtig erfahren, worin Ernsts Aufgaben auf der Baustelle eigentlich bestanden, aber er konnte sich freier bewegen als die meisten, und anscheinend blieben ihm die schwersten Arbeiten erspart. Ich vermute, dass er als Bote oder so etwas

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