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Der Mann, der ins KZ einbrach

Der Mann, der ins KZ einbrach

Titel: Der Mann, der ins KZ einbrach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rob Broomby Denis Avey
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für einfache Wärmebehandlungen. Er tat für mich, was er konnte, und ich war nicht so dumm, die Verletzung zu melden.
    Die Schwellung verschwand, und die Platzwunden heilten, aber mit meinem Sehvermögen stimmte etwas nicht mehr, und so blieb es jahrelang. Manchmal, wenn ich ein großes Gebäude anschaute, schob es sich vor mir zusammen, bis es so schmal wie ein Telefonmast aussah. Jahre nach dem Krieg entwickelte sich Krebs in dem Auge, und es musste herausgenommen und durch ein Glasauge ersetzt werden. Ich wusste genau, wem ich das zu verdanken hatte.
    Die Machtlosigkeit dieses Jungen und meine Unfähigkeit, ihm zu helfen, ließen mich einfach nicht mehr los. Mir war beigebracht worden, gegen Ungerechtigkeit aufzubegehren, und jetzt konnte ich in Auschwitz kaum etwas tun. Ich hatte oft mit ansehen müssen, wie Menschen zusammengeschlagen oder getötet wurden. Doch es ist das Bild dieses tapferen Jungen, das mich heimsucht, wenn es dunkel ist. Es ist sein Gesicht, das ich vor mir sehe, wenn ich schweißgebadet aufwache. Ich weiß nichts über ihn, nicht einmal seinen Namen, aber sein blutiges Gesicht ist fast siebzig Jahre lang Tag und Nacht bei mir gewesen.
     

     
    Viele von uns taten für die »Gestreiften«, was sie konnten, und steckten ihnen hier und da unauffällig eine Zigarette oder ein Stück Brot zu. Bei anderen weckten die schrecklichen Erlebnisse nur Angst und Schrecken. Einige Kriegsgefangene fürchteten sich vor den Krankheiten der KZ -Häftlinge und hatten Angst, zwischen ihnen unterzugehen. Immerhin waren wir alle Gefangene, die darum kämpften, am Leben zu bleiben. Großzügigkeit den Juden gegenüber zeigten aber längst nicht nur die, denen es im Zivilleben gut ergangen war.
    Frank Ginn war solch ein Soldat. Ich sage es nur ungern, aber der arme Kerl war Analphabet. Ich las ihm regelmäßig die Briefe vor, die er bekam, und schrieb für ihn die Antworten. Dabei lernte ich ihn kennen. Er hatte große Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache, die man wenigstens ansatzweise beherrschen musste, um sich in den Lagern zu verständigen.
    Eines Tages bat er mich, ihn zur Schreinerei in der Nordostecke des »Queen-Mary«-Gebäudes zu begleiten. Drinnen stand eine große Werkbank. Überall lagen Werkzeuge und Hobelspäne.
    Zwei griechische Juden arbeiteten in dieser Schreinerei. Sie sprachen nur einige wenige einsilbige deutsche Wörter, und Frank glaubte, ich könnte mich eher mit ihnen verständigen als er. Die Griechen im Lager, die überlebt hatten, stammten zumeist aus Thessaloniki, hieß es. Sie waren geborene Händler, zäh und verschlagen.
    Die beiden Griechen sollten anfertigen, was auf der Baustelle gebraucht wurde. Damit hatten sie eine Beschäftigung gefunden, bei der sie die Fertigkeiten nutzen konnten, die sie sich in der Heimat erworben hatten. Einem »Gestreiften« konnte kaum etwas Besseres passieren. Er war dann nicht mehr dem Wetter ausgesetzt und wurde auch etwas besser ernährt als die meisten anderen.
    Frank hatte den Griechen Essen zugesteckt, wann immer er konnte, aber jetzt hielten sie mich für seinen Chef – warum, weiß ich nicht. Jedenfalls galt ihr Interesse allein mir. Wann immer ich hereinkam, lächelten sie mich an. Bei einem dieser Besuche kam plötzlich SS in die Werkstatt.
    Ich rechnete mit Schwierigkeiten, doch die SS -Männer zuckten nicht mit der Wimper, als sie mich sahen, und stellten keine Fragen. Ich nahm an, dass die Griechen unter der Hand irgendwelche Arbeiten für sie erledigten. Alle KZ -Häftlinge mussten an Protektion nehmen, was sie bekommen konnten, und das Beste aus ihren Fähigkeiten machen. Das komplizierte Geflecht der Beziehungen auf der Baustelle erschwerte es einem zu wissen, wem man trauen konnte. Deshalb war ich immer darauf bedacht, keine Namen zu kennen. Man wusste nie, wer mit wem zu tun hatte. Überall konnte es Spitzel geben. Wissen war eine Ware, für die man sich Vorteile einhandeln konnte.
    Eines Tages reichten die Schreiner mir zu meinem Erstaunen ein Kästchen aus Holz und bestanden darauf, dass ich es nahm. Es war handbemalt und mit Schwalbenschwanzverbindungen zusammengefügt, und es hatte winzige Schubladen. In einem Kästchen wie diesem hätte ich meine Toilettenartikel aufheben können, nur besaß ich keine. Jedenfalls erschien es mir bizarr, in einem Konzentrationslager ein solches Geschenk zu bekommen, wo die meisten Häftlinge sich auf Knöpfe und Zigarettenstummel stürzten. Ich war verwirrt.
    Frank hatte den ersten

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