Der Mann, der ins KZ einbrach
Prags ging es weiter nach Pilsen. In Teilen des Sudetenlands, wo der ganze Schlamassel mit der deutschen Besetzung begann, die die Weichen für den Krieg stellte, warfen uns Einheimische – eher Tschechen als Volksdeutsche – Brot zu, als wir vorbeimarschierten. Die Wärter schritten ein und versuchten die Leute daran zu hindern, aber wir bekamen trotzdem ein paar Happen. Wir wussten es sehr zu schätzen.
Hunger tut weh. Es war ein harter Tag gewesen. Wir wurden für die Nacht in einer kleinen Scheune untergebracht, als ich bemerkte, dass zwischen Trennwand und Dachbalken eine Lücke war. Die Trennwand war zweieinhalb Meter hoch. Nach einigen Versuchen gelang es mir, daran hochzuklettern und die Beine hinüberzuschwingen. Auf der anderen Seite rutschte ich in einen baufälligen Schuppen.
Ich schaute mich um und entdeckte eine Schüssel mit ranzigem Fett, das wahrscheinlich für Tiere bestimmt war. Ich probierte es, musste aber würgen, stellte die Schüssel weg, kletterte wieder über die Trennwand und legte mich schlafen. Die ganze Nacht ging mir das ranzige Fett nicht aus dem Sinn. Als am nächsten Morgen der Befehl zum Abrücken kam, sprang ich ohne nachzudenken über die Wand und raffte die Schüssel an mich. Ohne innezuhalten, schlang ich das Fett herunter, und ich schaffte es sogar, das eklige Zeug bei mir zu behalten.
Der Verstand beherrscht alles. Auf diesem Marsch habe ich die scheußlichsten Dinge heruntergewürgt und mir jedes Mal weisgemacht, es wäre ein Festessen. Auf diese Weise habe ich überlebt.
Hinter Pilsen sah es aus, als würden wir zur österreichischen Grenze gebracht. Mittlerweile war ich verzweifelt. Wir bekamen nichts mehr zu essen. Auf keinen Fall wollte ich in der Gefangenschaft den Hungertod erleiden. Da konnte ich ebenso gut fliehen und selbst für mich sorgen.
Ich beschloss, mich alleine abzusetzen und keiner Menschenseele etwas zu sagen, nicht einmal Bill und Jimmy. Hätte ich ihnen meinen Plan verraten, hätten sie mich so lange unter Druck gesetzt, bis ich sie mitgenommen hätte. Doch wenn ich starb, starben auch sie. Diese Verantwortung wollte ich nicht auf mich nehmen. Allein kam ich besser zurecht.
Am Abend hielten wir südlich von Pilsen. Uns wurde befohlen, uns in einer großen Scheune im Stroh schlafen zu legen. Die Posten patrouillierten noch immer, wurden aber nachlässig. Sie waren nicht mehr mit dem Herzen dabei. Ich beobachtete und wartete ab. Ich kannte die Lücken in ihrer nächtlichen Routine, und bei der ersten Gelegenheit machte ich mich davon.
Ich rannte über Felder und durch Dickicht und erwartete jeden Augenblick Gebrüll hinter mir, gefolgt von Schüssen. Ich lief, bis ich in sicherer Entfernung war. Dann warf ich mich in einen Graben und schlief bis zum Morgen durch.
Es war noch zu früh, als dass ich erleichtert hätte sein können. Ich hielt mein Schicksal zwar wieder selbst in der Hand, aber noch bestand die Gefahr, dass ich gefasst und erschossen wurde. Eine Flucht erforderte einen Plan, und den hatte ich nicht. Ich sagte mir allerdings, ein Plan sei jetzt, wo der Krieg sich dem Ende zuneigte und die Westalliierten auf dem Vormarsch durch Deutschland waren, nicht mehr so entscheidend. Immerhin hatte ich eine primitive Karte. Die musste reichen.
Essen musste ich natürlich weiterhin. Ich kam zu einem Haus und beobachtete es eine Weile. Dann ging ich hin und fand die Tür offen vor. Wenn man hungrig ist, verfliegt die Angst. Hätte sich mir jemand in den Weg gestellt, wäre es aus mit mir gewesen. Aber so weit kam es nicht. Ich floh mit einem radförmigen Brot von dreißig Zentimetern Durchmesser. Ich fand ein sicheres Plätzchen, versteckte mich dort und schlang es herunter.
Ich ging hauptsächlich bei Nacht und versteckte mich tagsüber. An den Sternen und dem Sonnenuntergang konnte ich mich grob orientieren und marschierte in südwestlicher Richtung. Noch immer trug ich meine Felduniform. Ich hätte einen Mantel gut gebrauchen können, um die Uniform darunter zu verbergen, aber ich fand keinen. Von Ansiedlungen hielt ich mich fern, sodass ich in einer einsamen, wilden Gegend die Grenze zu Deutschland überschritt.
Ich stahl an Nahrung, was ich konnte, und pflückte alles von den Feldern, was irgendwie essbar war. Schlimmer als auf dem Marsch war es nicht. Ich drang immer weiter nach Deutschland vor, und nach unzähligen Nachtmärschen kam ich nach Regensburg.
Ich stolperte über einen großen Verschiebebahnhof und las die Schilder an den
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