Der Mann, der kein Mörder war
einer Auskunft dienen.
« SIG Sauer. Ist das die einzige Waffe von diesem Kaliber, zu der Ragnar Zugang hatte?»
«Soweit ich weiß ja. Warum fragen Sie eigentlich? Wurde der Junge erschossen?»
Sebastian war den langen Korridor entlanggeschlendert und kam schon bald an einem Gemeinschaftsraum mit Kaffeemaschine und einem großen, verbeulten Kühlschrank vorbei. Hier standen auch zwei mächtige Glasvitrinen, die mit Pokalen und Medaillen gefüllt waren. Davor waren einige Stühle um mehrere Tische mit Brandflecken gruppiert. Sie stammten vermutlich noch aus einer Zeit, als Männer mit Gewehren zum Rauchen nicht vor die Tür mussten. Sebastian spazierte in den Raum hinein. An einem der Tische saß ein etwa dreizehnjähriges Mädchen allein mit einer Coladose und einer Zimtwecke vor sich. Sie musterte Sebastian mit ausdrucksloser Teenagermiene. Sebastian nickte ihr zu. Er ging zu dem Schrank mit den goldglänzenden Pokalen. Es faszinierte ihn, wie stur man in allen Sportarten darauf beharrte, Siege mit Goldpokalen in grotesken Übergrößen zu prämieren. Als hätten die Sportler in Wirklichkeit ein miserables Selbstvertrauen und wüssten tief in ihrer Seele von der Sinnlosigkeit ihres Strebens. Daher rührte wohl die übertriebene Inflation der Pokale – inflationär sowohl in der Größe als auch im Glanz.
An den Wänden hingen Fotos von einzelnen Schützen sowie Gruppenbilder und hier und da ein gerahmter Zeitungsartikel. Es war ein klassischer Klubraum. Sebastian warf einen flüchtigen Blick auf die Bilder. Sie zeigten mehrheitlich breitbeinige Männer mit Waffen, die stolz in die Kamera grinsten. Ihre Mimik hatte in Sebastians Augen etwas lächerlich Aufgesetztes. Konnte es denn wirklich ein so tolles Erlebnis sein, ein Gewehr und einen Pokal hochzuhalten? Er spürte den Blick des Mädchens im Rücken und drehte sich zu ihr um. Ihr Gesicht war noch immer ausdruckslos. Dann öffnete sie den Mund.
«Was machen Sie da?»
«Ich arbeite.»
«Aber womit?»
Sebastian sah sie kurz an.
«Ich bin Polizeipsychologe. Und du?»
«Ich habe gleich Training.»
«Darf man in deinem Alter schon so was machen?»
Das Mädchen lachte.
«Wir beschießen uns ja nicht gegenseitig.»
«Tja, noch nicht … Und, macht es Spaß?»
Das Mädchen zuckte mit den Achseln.
«Jedenfalls mehr Spaß, als irgendeinem dummen Ball hinterherzurennen. Macht es denn Spaß, Polizeipsychologe zu sein?»
«Geht so. Ich würde lieber auf Sachen schießen, so wie du.»
Das Mädchen blickte ihn stumm an und widmete sich dann wieder ihrer Zimtwecke. Das Gespräch war offenbar beendet. Sebastian fixierte erneut die Wand. Seine Augen blieben an einem Bild mit sechs glücklichen Männern hängen, die sich um einen der überdimensionierten Pokale versammelt hatten. Eine kleine Goldplakette über dem Rahmen kennzeichnete den Augenblick als « SM -Bronze 1999». Sebastian betrachtete das Bild etwas eingehender. Vor allem einen der sechs Männer. Er stand am linken Bildrand und sah ganz besonders glücklich aus. Breites Lächeln, viele Zähne. Resolut nahm Sebastian das Bild von der Wand und stapfte davon.
Bevor Ursula den Rotevägen verließ, waren Sundstedt und sie immer mehr in ihrer Annahme bestätigt worden, dass der Brand in Peter Westins Haus vorsätzlich gelegt worden war. Es stand außer Zweifel, dass das Feuer im Schlafzimmer ausgebrochen war. Die Wand hinter dem Bett und der Boden daneben wiesen klare Zeichen einer explosionsartigen Brandentwicklung auf. Als das Feuer einmal loderte, hatte es bald schon gierig auf das Dach übergegriffen und war durch die zusätzliche Sauerstoffzufuhr angefacht worden, als das Schlafzimmerfenster durch die starke Hitze zersprungen war. Um das Bett herum fand sich zunächst keine Erklärung für die schnelle Ausbreitung. Bei näherer Untersuchung entdeckten sie allerdings Spuren von Brandbeschleuniger. Also Brandstiftung und Mord. Die eigentliche Todesursache des Opfers war noch immer unbekannt, doch es war Sundstedt immerhin gelungen, die Leiche unter den Trümmern auszugraben, was einige Stunden in Anspruch genommen hatte, da er gezwungen gewesen war, den beschädigten Boden erst von unten abzustützen. Ursula sorgte dafür, dass das Opfer vorsichtig in einen Leichensack verpackt wurde, und beschloss, selbst mit zum Rechtsmedizinischen Institut zu fahren, um bei der Obduktion dabei zu sein. Sundstedt versprach, seinen Bericht so schnell wie möglich fertigzustellen.
In der Pathologie
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