Der Mann, der kein Mörder war
rann seine kreidebleiche Wange hinab.
«Ich habe es nicht gemeldet.»
«Die Karte sperren lassen?»
«Kann sein, dass ich es vergessen habe, ich weiß nicht …»
«Jetzt kommen Sie schon. Denken Sie wirklich allen Ernstes, wir würden Ihnen glauben, dass Ihre Karte gestohlen wurde?»
Keine Antwort. Vanja spürte, dass es an der Zeit war, Frank Clevén darüber aufzuklären, wie schlecht es für ihn aussah.
«Wir ermitteln in einem Mordfall. Das bedeutet, dass wir all Ihren Angaben nachgehen werden. Ich frage Sie noch einmal, waren Sie letzten Freitag in dem Motel in Västerås, ja oder nein?»
Clevén wirkte schockiert.
«Ein Mordfall?»
«Ja.»
«Aber ich habe doch niemanden ermordet!»
«Was haben Sie stattdessen getan?»
«Nichts. Nichts habe ich getan.»
«Sie waren in der Mordnacht in Västerås und leugnen diese Tatsache. Das klingt in meinen Ohren ziemlich verdächtig.»
Clevén fuhr zusammen, sein ganzer Körper wand sich auf dem Stuhl. Er konnte den beiden, die vor ihm saßen, nur schwer in die Augen blicken. Sebastian stand abrupt auf.
«Vergessen wir die ganze Sache. Ich fahre zu Ihnen nach Hause und überprüfe, ob Ihre Frau etwas weiß. Bleibst du so lange hier bei ihm, Vanja?»
Vanja nickte und beobachtete Clevén. Er starrte Sebastian an, der langsam zur Tür ging.
«Sie weiß nichts», presste er hervor.
«Nein, wahrscheinlich nicht, aber sie kann mir wohl sagen, ob Sie an diesem Tag zu Hause waren oder nicht? Frauen haben meistens einen ganz guten Überblick über solche Dinge.»
Mit seinem breitesten Grinsen demonstrierte Sebastian, wie froh ihn allein der Gedanke daran machte, zu Clevéns Frau und seinen Kindern zu fahren, um ihnen diese Frage zu stellen. Als er die Tür fast erreicht hatte, hielt Clevén ihn auf.
«Okay, ich war im Motel.»
«Aha.»
«Aber meine Frau weiß davon nichts.»
«Nein, das sagten Sie bereits. Mit wem haben Sie sich dort getroffen?»
Keine Antwort.
«Mit wem haben Sie sich getroffen? Wir können gern den ganzen Tag hier sitzen. Wir können einen Streifenwagen rufen und Sie in Handschellen abführen lassen. Es liegt an Ihnen. Aber eine Sache sollten Sie wissen. Wir werden am Ende die Wahrheit herausfinden.»
«Ich kann nicht sagen, wer. Es geht nicht. Es ist schon für mich schlimm genug, wenn es rauskommt, aber für ihn …»
«Für ihn?»
Frank schwieg und nickte beschämt. Plötzlich sah Sebastian alles genau vor sich.
Der Schützenverein.
Franks beschämter Blick.
Dieses verlogene Palmlövska-Gymnasium.
«Sie haben sich mit Ragnar Groth getroffen?»
Frank nickte still. Er sah zu Boden. Seine Welt war zusammengestürzt.
Auf dem Rückweg im Auto waren Sebastian und Vanja geradezu euphorisch.
Frank Clevén und Ragnar Groth hatten schon seit längerer Zeit eine Affäre. Sie hatten sich im Schützenverein kennengelernt, vor vierzehn Jahren. Ihre Liebe war zunächst zögerlich gewesen, nach einer Zeit jedoch allumfassend. Vernichtend. Clevén war sogar aus Västerås weggezogen, um dem ein Ende zu bereiten, wofür er sich so schämte; schließlich war er verheiratet und hatte Kinder. Er war nicht homosexuell. Aber er hatte es einfach nicht abstellen können. Den Genuss, den Sex, die Scham – all das war wie eine Droge für ihn.
Also ging es weiter. Sie hatten nicht aufgehört, sich zu sehen. Die Initiative für die Treffen war stets von Groth ausgegangen, aber Clevén hatte nie nein gesagt. Er sehnte sich nach den Treffen, die nie bei Groth zu Hause stattfanden. Das Motel mit seinen billigen Zimmern und den weichen Betten wurde zu ihrer Liebesoase. Clevén buchte und zahlte. Er hatte sich Ausreden ausdenken müssen, dem Misstrauen seiner Frau stets etwas entgegengesetzt. So war es meistens einfacher, nicht die ganze Nacht über wegzubleiben. Besser spät nach Hause zu kommen als gar nicht. Ja, die beiden hatten sich an jenem Freitag gesehen. Gegen 16 Uhr. Groth war beinahe unersättlich gewesen, sodass Clevén das Hotel erst um kurz vor zehn verlassen hatte. Groth war etwa eine halbe Stunde zuvor gegangen.
Um kurz nach halb zehn.
Zur selben Zeit, zu der Roger vermutlich am Haus vorbeigegangen war.
A lle fünf spürten, dass etwas in der Luft lag, und sie begrüßten es. Genau so fühlte es sich an, wenn man einen Durchbruch erreicht hatte, wenn die Ermittlungen wieder in Schwung kamen und man bestenfalls sogar ein Ende absehen konnte. Tagelang hatten alle Spuren und Anregungen in eine Sackgasse geführt, aber Ragnar
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