Der Mann, der kein Mörder war
Ort, der den Anfang vom Ende für Roger und sie bedeutet hatte.
Der Ort, der schuld daran war, dass sie sich so unterlegen, so völlig wertlos fühlte.
Das Palmlövska-Gymnasium.
Hinter der Schule fand Lena, wonach sie suchte. Erst war sie den großen Parkplatz auf der Vorderseite abgelaufen, ohne fündig zu werden, dann hatte sie frustriert eine Runde um die Schule gedreht und hatte ihn schließlich auf einem kleineren Parkplatz direkt neben dem Eingang der Schulcafeteria entdeckt.
Dort stand er, der dunkelblaue Volvo. Genau wie sie geahnt und befürchtet hatte.
Die Übelkeit und die Tränen kamen zurück – und die Gedanken. In dieses Auto war er eingestiegen, ihr Roger. An jenem Freitag, der erst so kurz zurücklag und dennoch eine Ewigkeit her zu sein schien. Nun gab es nur noch eine Sache zu erledigen. Lena näherte sich dem linken Kotflügel und ging in die Hocke. Sie wusste nicht, ob die Polizisten es bemerkt hatten, jedenfalls hatten sie nichts darüber gesagt, aber als das Auto auf dem Film geblinkt und die Straße verlassen hatte, konnte man deutlich erkennen, dass das linke Rücklicht mit Klebeband befestigt war.
Zumindest hatte Lena es gesehen. Roger hatte vor einigen Wochen einen Zettel von der Schule mit nach Hause gebracht. Es war eine trockene und anklagende Erklärung, dass beide Rücklichter des Wagens durch Vandalismus beschädigt worden waren, und dass man sie nun provisorisch reparierte, jedoch erwartete, dass die Schuldigen sich zu erkennen geben und für den Schaden aufkommen würden. Wie die Sache ausgegangen war, wusste sie nicht. Sie strich mit den Fingern über das breite Klebeband. Als ob sie hoffte, dass die Zeit stehenbliebe und nie wieder etwas geschehen würde, niemals.
Doch das würde es. Dies war erst der Anfang, das wusste sie. Sie stand auf und ging ein paar Schritte um das Auto herum, fasste vorsichtig das kalte Metall an. Vielleicht hatte er es genau hier berührt, oder hier. Sie tastete weiter, versuchte sich auszumalen, wo seine Hände das Auto gestreift haben könnten. Auf jeden Fall an einer der Türen. Vermutlich an der vorderen. Sie befühlte sie, kalt und abgeschlossen. Lena beugte sich vor und spähte hinein. Dunkle Bezüge ohne Muster. Nichts auf dem Boden. Ein paar Münzen in dem kleinen Fach zwischen den Sitzen. Sonst nichts.
Lena richtete sich auf und bemerkte zu ihrer Verwunderung, dass ihre Unruhe wie weggeblasen war. Das Schlimmste, was geschehen konnte, war bereits eingetroffen. Ihre Schuld hatte sich bestätigt.
Fernab jeglichen Zweifels.
Jetzt spürte sie innerlich nur eine vollkommene Leere. Kälte breitete sich in ihrem Körper aus. Als sei die kühle, innere Stimme endlich eins mit ihr geworden.
Es war ihr Fehler gewesen. Nirgends in ihrem Körper gab es noch Widerstand gegen diese Erkenntnis – und keinerlei Wärme.
Ein Teil von Lena war an dem Tag gestorben, als man ihr Roger nahm.
Der andere Teil starb jetzt.
Sie nahm ihr Handy heraus und wählte eine Nummer. Es klingelte einige Male, bis sich am anderen Ende eine Männerstimme meldete. Sie hörte ihre eigene Stimme, die genauso kalt war wie ihr Inneres.
«Ich war heute bei der Polizei und habe etwas gesehen. Ihr Auto. Ich weiß, dass Sie es waren.»
C ia Edlund besaß noch nicht sonderlich lange einen Hund. Eigentlich hatte sie sich nie als Hundemensch gesehen. Doch vor zwei Jahren hatte Rodolfo an ihrem Geburtstag plötzlich mit einem entzückenden, wuscheligen kleinen Hundewelpen dagestanden. Einer Cockerspanielhündin. Eine richtige Lady, hatte Rodolfo mit breitem Lächeln verkündet, und seine Augen strahlten dabei so, wie es nur seine Augen konnten. Cia hatte unmöglich nein sagen können, insbesondere, weil Rodolfo ihr sofort seine Hilfe versprach, als er ihr Zögern bemerkte.
«Es ist nicht nur dein Hund. Wir werden uns gemeinsam kümmern, das verspreche ich. Um unser kleines Baby …»
Doch es kam anders. Sechs Monate später, als Rodolfos Augen weniger häufig strahlten und seine Besuche bei ihr immer seltener wurden, wusste sie, dass die Verantwortung für den Hund bei ihr lag, und nur bei ihr. Obwohl das Tier sogar nach Rodolfos Großmutter benannt war, Lucia Almira, einer Frau in Chile, die Cia nie kennengelernt hatte. Sie hatten immer geplant, die Großmutter zu besuchen, sobald sie es sich leisten konnten.
Auch dazu kam es nie. Also teilte Cia ihr Bett nun mit einem Geschöpf, das nach einer chilenischen Großmutter getauft war, die sie nie treffen würde.
Doch das
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