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Der Mann, der kein Mörder war

Der Mann, der kein Mörder war

Titel: Der Mann, der kein Mörder war Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Hjorth , Rosenfeldt
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Augen war besonders verwunderlich. Nein – was sie erschauern ließ, war die Tatsache, dass ihre Augen, die eben noch auf das lächelnde Gesicht ihres siebenjährigen Sohnes gerichtet waren, nun denjenigen betrachteten, der sein Leben ausgelöscht hatte.
     
     
    Haraldsson war spät dran. Eigentlich sah es ihm nicht ähnlich zu verschlafen. Er gab dem Wein und Jenny die Schuld. Der Wein hatte dazu geführt, dass er tiefer geschlafen und weniger geträumt hatte als sonst. Jenny hatte ihn nicht geweckt, bevor sie ins Krankenhaus gefahren war. Er hatte den Wecker gestellt, ihn dann aber offenbar beim ersten Klingeln im Halbschlaf ausgeschaltet. Er konnte sich nicht einmal daran erinnern, dass er überhaupt geklingelt hatte. Um kurz nach halb zehn war er dann aufgestanden. Zunächst wollte er sich schnell in die Kleider werfen und zur Arbeit rasen, aber irgendwie war der Morgen in Zeitlupe weitergegangen, und als er endlich geduscht, gefrühstückt und sich angezogen hatte, war eine weitere Stunde vergangen. Er beschloss, zum Präsidium zu laufen, und kam um Punkt elf dort an.
    Radjan hatte tatsächlich erledigt, worum Haraldsson ihn gebeten hatte. Als er sich mit einer Tasse Kaffee an seinen Schreibtisch setzte, lag dort eine einzelne Mappe. Er öffnete sie gespannt und zog drei engbeschriebene DIN -A4-Seiten heraus. Haraldsson lehnte sich mit seiner Kaffeetasse in der einen Hand und dem Ausdruck in der anderen zurück. Konzentriert begann er mit der Lektüre.
    Nach fünfundvierzig Minuten hatte er die Vernehmung von Linda Beckman dreimal gelesen. Er legte die Mappe beiseite, schaltete seinen Computer an und gab Axel Johanssons Daten ein. Das Ergebnis war eine recht ansehnliche Liste. Der gute Johansson war häufig umgezogen und hatte offenbar an all seinen Wohnsitzen Bekanntschaft mit der Polizei gemacht. Haraldsson klickte sich durch die protokollierten Daten. Umeå, Sollefteå, Gävle, Helsingborg und einige kleinere Gesetzesverstöße hier in Västerås: Störung der öffentlichen Ordnung, Diebstahl, sexuelle Belästigung … Haraldsson stutzte. Auch in Sollefteå hatte es eine Anzeige wegen sexueller Belästigung gegeben. Axel wurde nie deswegen verurteilt, beide Voruntersuchungen waren aus Mangel an Beweisen eingestellt worden. Haraldsson sah sich die älteren Protokolle an. Axel Johansson war auch in einem Ermittlungsverfahren wegen Vergewaltigung in Umeå als Zeuge vernommen worden, das elf Jahre zurücklag. Er hatte ein Fest besucht, auf dem ein Mädchen brutal vergewaltigt worden war, als es im Dunkeln zum Rauchen in den Garten ging. Alle Gäste waren verhört worden, aber niemand angeklagt. Die Vergewaltigung wurde nie aufgeklärt.
    Erneut schoss Haraldsson seine gestrige Eingebung durch den Kopf: Wer schuldig ist, flieht.
    Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück und spielte den Gedanken durch. Nahm sich die Mappe vor, die Radjan ihm kopiert hatte. Ein kurzer Passus ließ ihn aufhorchen: Axel Johansson war im Bett gern dominant. Wer schuldig ist, flieht. Es war weit hergeholt. Aber angesichts der Tatsache, dass sich Haraldsson im Expresstempo der Ersatzbank näherte, konnte er auch einfach etwas riskieren. Er setzte sich wieder aufrecht und hieb in die Tasten. Zunächst prüfte er, wann Axel Johansson in Umeå gewohnt hatte, dann suchte er die unaufgeklärten Verbrechen aus derselben Zeit heraus. Es waren eine Menge. Er schloss alle aus, die keinen sexuellen Hintergrund hatten. Nun waren es weniger, aber immer noch viele. Haraldsson grenzte das Suchgebiet noch weiter ein. Zunächst Vergewaltigungen. Noch immer erschreckend viele. Dann Vergewaltigungen, bei denen das Opfer aus dem Hinterhalt überfallen worden war. Viel weniger. Normalerweise handelte es sich hierbei um ein äußerst seltenes Verbrechen – bei den meisten Vergewaltigungen kannten Opfer und Täter einander vorher, und wenn auch nur wenige Stunden. In der Zeit, in der Axel Johansson in Umeå gelebt hatte, waren hingegen fünf solcher Vergewaltigungen begangen worden. Drei davon nach genau demselben Muster.
    Einsame Frauen an einsamen Orten. Einsam, aber nicht ganz verlassen, mit Menschen in der Nähe. Offenbar wiegten sich die Frauen in Sicherheit, wenn sie andere in der Nähe wussten. Sie wagten es, zum Rauchen tiefer in den dunklen Garten hinauszuspazieren, denn durch das offene Fenster hörten sie ja weiterhin das Fest. Sie gingen eine Abkürzung durch den Park, weil sie hinter dem Gebüsch noch die Gespräche von der Bushaltestelle

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