Der Mann, der kein Mörder war
natürlich erzählen sollen.»
«Das hätte die Sache ein wenig erleichtert, in der Tat.» Vanja war kurz angebunden und klang verärgert, an der Grenze zum Anklagenden. Beatrice sah sie an, als sei ihr gerade eine fürchterliche Erkenntnis gekommen.
«Wären sie dann noch am Leben? Lena und Ragnar? Wenn ich es erzählt hätte?»
Es wurde still am Tisch. Torkel schien zu begreifen, dass Vanja kurz davor war, mit Ja zu antworten, und legte sanft seine Hand auf ihren Unterarm. Vanja zügelte sich.
«Das kann man unmöglich sagen, und es führt zu nichts, darüber zu grübeln.» Torkel sprach ruhig und vertrauensvoll. «Erzählen Sie uns stattdessen von Roger und Ihnen.»
Beatrice holte Luft und hielt kurz den Atem an, als stählte sie sich für das, was nun kam.
«Ich verstehe, dass Sie das für wahnsinnig unpassend halten werden. Ich bin verheiratet, und er war erst sechzehn, aber er war sehr reif für sein Alter und so … ist es eben einfach passiert.»
«Und wann fing es an?»
«Einige Monate, nachdem er auf die Schule gekommen war. Er brauchte jemanden, von zu Hause bekam er nicht viel Unterstützung. Und ich … mir fehlte es, gebraucht zu werden. Geliebt. Das klingt für Sie bestimmt schrecklich?»
«Er war sechzehn Jahre alt und stand in einem Abhängigkeitsverhältnis zu Ihnen, was glauben Sie denn selbst, wie das klingt?» Nun sprach Vanja erneut, unbarmherzig und unnötig hart.
Beatrice senkte beschämt den Blick. Sie hatte ihre Hände auf den Tisch gelegt und fingerte nervös an ihrem Taschentuch herum. Wenn Vanja sich nicht bald etwas beruhigte, würden sie Beatrice verlieren. Sie würde zusammenbrechen, und davon hätten sie nichts. Erneut legte Torkel seine Hand leicht auf Vanjas Unterarm. Sebastian beschloss, sich über die Kopfhörer einzuschalten.
«Frag, warum sie es brauchte, sich geliebt zu fühlen. Sie ist doch verheiratet.»
Vanja schielte zum Spiegel, mit einem Blick, der fragte, was das mit der Sache zu tun hatte. Sebastian stellte den Knopf noch einmal auf senden.
«Ihr dürft sie nicht brechen. Frag einfach. Sie möchte gern davon erzählen.»
Vanja zuckte mit den Schultern und richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf Beatrice.
«Wie würden Sie Ihre Ehe beschreiben?»
«Sie ist …» Beatrice sah erneut auf. Zögerte. Schien nach dem richtigen Wort zu suchen, das ihre häusliche Situation, ihr Leben, am treffendsten beschrieb. Am Ende fand sie es.
«Lieblos.»
«Und warum?»
«Ich weiß nicht, ob Ihnen das bekannt ist, Ulf und ich haben uns vor sechs Jahren scheiden lassen und vor ungefähr eineinhalb Jahren noch einmal geheiratet.»
«Warum ließen Sie sich scheiden?»
«Ich hatte ein Verhältnis mit einem anderen Mann.»
«Sie waren Ihrem Mann untreu?»
Beatrice nickte und senkte beschämt den Blick. Es war deutlich, was die jüngere Frau, die ihr gegenübersaß, von ihr hielt. Es war ihrer Stimme anzuhören, ihrem Blick anzusehen. Beatrice nahm es ihr nicht übel. Jetzt, wo sie laut darüber sprach, geradeheraus in den kahlen Raum, erschienen ihre Taten zutiefst unmoralisch. Doch wenn sie sich dort befand, mittendrin, wenn sie eine Liebe erlebte, die fast an Anbetung grenzte, konnte sie nicht widerstehen. Sie hatte immer gewusst, dass es falsch war. In vielerlei Hinsicht. In jeglicher Hinsicht.
Aber wie hätte sie die Liebe zurückweisen können, nach der sie sich so verzweifelt sehnte und die sie nirgendwo sonst bekam?
«Und Ulf hat Sie verlassen?»
«Ja, Johan und mich. Im Prinzip ging er einfach durch die Tür und war weg. Es dauerte bestimmt ein Jahr, bis wir wieder miteinander sprachen.»
«Aber jetzt hat er Ihnen verziehen?»
«Nein. Ulf kam Johan zuliebe zurück. Unsere Scheidung und das Jahr danach haben den Jungen schwer getroffen. Johan war wütend und verwirrt. Er wohnte bei mir, aber in seinen Augen hatte ich allein die Familie zerstört. Es war ein offener Krieg. Wir fanden einfach keine Lösung. Die meisten Kinder verkraften es, wenn die Eltern sich scheiden lassen, es kann mal länger dauern, mal kürzer, aber am Ende geht es den meisten irgendwann wieder gut. Auf Johan traf das nicht zu. Es half nicht einmal, dass er schließlich jede zweite Woche oder noch öfter bei Ulf wohnte. Er redete sich ein, dass alles sinnlos sei, solange die Familie nicht wieder zusammen wäre. Schließlich wurde es zu einer fixen Idee. Er wurde krank, depressiv. Eine Zeitlang plagten ihn Selbstmordgedanken. Er fing eine Therapie an, doch es wurde nicht besser. Alles
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