Der Mann, der kein Mörder war
wusste, dass Ursula vermutlich bedeutend mehr sah als die feuchte Waldsenke, die Torkel vor sich hatte.
«Er starb nicht hier. Laut dem vorläufigen Obduktionsbericht waren die Messerstiche so tief, dass der Griff des Messers Abdrücke auf der Haut hinterließ. Jedenfalls in den Weichteilen.»
Torkel warf ihr einen bewundernden Blick zu. Obwohl sie nun schon so viele Jahre zusammenarbeiteten, war er immer noch von ihrem Wissen und ihrem Kombinationsvermögen beeindruckt. Torkel dankte seinem Glücksengel, dass Ursula ihn damals, wenige Tage, nachdem er zum Chef des Ermittlerteams der Reichsmordkommission ernannt worden war, aufgesucht hatte. Eines Morgens vor siebzehn Jahren war sie einfach aufgetaucht. Hatte vor seinem Büro auf ihn gewartet. Sie hatte keinen Termin mit ihm vereinbart, sagte jedoch, dass es höchstens fünf Minuten dauern würde. Er hatte sie hineingebeten.
Damals arbeitete sie beim SKL , dem Staatlichen Kriminaltechnischen Labor, hatte ihre Karriere bei der Polizei begonnen, sich aber schon bald auf die Untersuchung von Tatorten spezialisiert und später auch auf technische Beweisführung und Rechtsmedizin. Auf diese Weise war sie beim SKL in Linköping gelandet. Es sei nicht so, dass ihr die Arbeit nicht gefiele, hatte sie im Laufe ihrer fünf Minuten berichtet, aber ihr fehle die Jagd. So hatte sie sich ausgedrückt. Die Jagd. Es sei ja ganz nett, im weißen Kittel in einem Labor zu stehen und DNA zu sichern und Probeschüsse mit Waffen abzufeuern. Etwas ganz anderes aber sei es, vor Ort Beweismaterial zu analysieren und gemeinsam mit den anderen die Beute einzukreisen, um sie später zu fangen. Das verschaffe ihr einen Kick und eine Befriedigung, die eine passende DNA -Probe nie bei ihr bewirken könne. Ob Torkel das verstehe? In der Tat. Ursula nickte. Ja dann. Sie hatte auf ihre Uhr gesehen. Vier Minuten, achtundvierzig Sekunden. Die verbleibenden zwölf Sekunden nutzte sie dazu, ihre Telefonnummer aufzuschreiben und den Raum zu verlassen.
Torkel hatte sich umgehört, und alle hatten nur Gutes über Ursula zu berichten gewusst. Den Ausschlag für Torkels endgültige und schnelle Entscheidung gab jedoch, dass ihm der Chef vom SKL geradezu mit physischer Vergeltung drohte, wenn er auch nur einen Blick in Ursulas Richtung werfen würde. Torkel tat mehr als das, er stellte sie noch am selben Nachmittag ein.
«Also hat er die Leiche hier nur entsorgt?»
«Vermutlich ja. Wenn wir davon ausgehen, dass der Mörder diesen Tümpel bewusst auswählte, dass er ihn kannte, dann ist er ortskundig und dürfte sein Auto so nah wie möglich geparkt haben. Dort oben.»
Sie zeigte auf einen dreißig Meter entfernt liegenden Hang, vielleicht zwei Meter hoch gelegen und steil abfallend. Wie auf ein unsichtbares Kommando setzten sie sich in Bewegung. Haraldsson humpelte hinterher.
«Wie geht es Mikael?»
Ursula stutzte.
«Gut. Warum fragst du?»
«Du bist erst vor ein paar Tagen wieder nach Hause gekommen. Er hatte nicht besonders lange etwas von dir.»
«So ist meine Arbeit eben. Er versteht das. Er ist es gewohnt.»
«Gut.»
«Außerdem musste er sowieso zu einer Messe in Malmö.»
Sie hatten den Steilhang erreicht. Ursula warf einen Blick zurück auf den Tümpel. Irgendwo hier musste der Täter hinabgestiegen sein. Zu dritt untersuchten sie den Hang. Nach einigen Minuten hielt Ursula inne. Trat einen Schritt zurück, um zu vergleichen. Ging in die Knie, um einen Blick von der Seite auf die Stelle zu werfen. Doch sie war sich sicher. Die Vegetation war ein wenig plattgedrückt. Vieles hatte sich wieder aufgerichtet, aber diese Spuren sahen so aus, als wäre hier etwas entlanggeschleift worden. Sie ging in die Hocke. An einem dürren Busch waren einige Zweige abgeknickt, und an den weißlich gelben Bruchstellen waren Verfärbungen zu erkennen, die von Blut herrühren konnten. Ursula holte einen verschließbaren Plastikbeutel aus ihrer Tasche, knipste vorsichtig einen Zweig ab und legte ihn hinein.
«Ich glaube, ich habe den Weg gefunden, den er hinunterkam. Könnt ihr mal eben da hochgehen?»
Torkel bedeutete Haraldsson mit einem Wink, dass sie weiter den Hang hinaufsteigen sollten. Ganz oben, am Ende des schmalen Kieswegs, drehte Torkel sich um. Ein Stück weiter unten standen die Polizeiwagen.
«Wohin führt dieser Weg?»
«In die Stadt, es ist ja derselbe Weg, den wir auch gekommen sind.»
«Und in die andere Richtung?»
«Er schlängelt sich ein wenig durch den Wald, aber nach einiger Zeit
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