Der Mann, der kein Mörder war
Uhr an der Wand – zwanzig Minuten vergangen. Er hatte dem hinkenden Polizisten alles mitgeteilt, was er zu sagen hatte, manche Dinge sogar zweimal, den Ort musste er ganze dreimal nennen, beim dritten Mal hatte er ihn auf einer Karte einkreisen sollen. Jetzt wirkte der Polizist zufrieden. Er schlug seinen Notizblock auf und sah Fredrik an.
«Dann danke ich dir, dass du zu uns gekommen bist. Kannst du noch einen kurzen Moment hier warten?» Fredrik nickte, und der Polizist humpelte davon.
Fredrik setzte sich und betrachtete das Großraumbüro, wo rund zehn Polizisten durch mobile Trennwände voneinander abgegrenzt an Schreibtischen saßen. An den Wänden hingen Kinderzeichnungen, Familienfotos und Speisekarten, daneben Computerausdrucke. Die Geräuschkulisse war eine gedämpfte Mischung aus Tastaturgeklapper, Gesprächen, Telefonklingeln und Kopierergebrumm. Obwohl er selbst seine Hausaufgaben immer mit den Stöpseln seines iPods im Ohr erledigte, wunderte Frederik sich, wie man in einer solchen Umgebung irgendetwas zustande bringen konnte. Wie konnte man jemandem gegenübersitzen, der gerade telefonierte, ohne darauf zu achten, was der andere sagte?
Der Polizist hinkte zu einer Tür, doch noch bevor er sie erreicht hatte, kam eine Frau auf ihn zu. Eine blonde Frau im Kostüm. Fredrik bildete sich ein, dass er sehen konnte, wie der humpelnde Mann in sich zusammensackte, als die Frau sich näherte.
«Wer ist das denn?», erkundigte Hanser sich und machte eine Kopfbewegung in Richtung des Jungen, der im Büro saß und sie musterte. Haraldsson folgte ihrem Blick, obwohl er genau wusste, wen sie meinte.
«Er heißt Fredrik Hammer und verfügt über Informationen zu Roger Eriksson.» Haraldsson hielt seinen Notizblock hoch, als wolle er unterstreichen, dass er alles aufgenommen hatte. Hanser tat ihr Bestes, um ruhig zu bleiben.
«Wenn es um Roger Eriksson geht, warum spricht dann nicht die Reichsmordkommission mit ihm?»
«Ich war zufällig da, als er kam, und dachte, ich könnte ihn erst mal anhören. Um zu sehen, ob es überhaupt relevant ist, was er zu sagen hat. Es ist doch Unsinn, wenn Torkel Höglund seine Zeit mit Dingen verschwenden muss, die die Ermittlungen nicht voranbringen.»
Hanser holte tief Luft. Sie konnte sich vorstellen, wie schwierig es war, die Verantwortung für einen Fall abgeben zu müssen. Wie man die Umstände auch drehte und wendete, so signalisierte es letzten Endes doch mangelndes Vertrauen. Dass obendrein sie es gewesen war, die diese Entscheidung getroffen hatte, machte die Sache nicht leichter. Haraldsson hatte sich auf ihre Stelle beworben, das wusste sie. Man brauchte kein ausgebildeter Psychologe sein, um zu ahnen, was Haraldsson von ihr hielt. Alles, was er tat, verriet seine Abneigung und Feindseligkeit, permanent. Eigentlich hätte sie froh darüber sein müssen, dass sich Haraldsson mit der Sturheit eines Bekloppten an diesen Fall klammerte. Seine Aufopferung loben, sein echtes Engagement. Vielleicht hatte er aber auch ganz einfach noch nicht begriffen, dass er nicht länger ein aktiver Bestandteil der Ermittlungen war. Hanser tendierte eher zu der zweiten Schlussfolgerung.
«Es gehört nicht mehr zu deinen Aufgaben, in diesem Fall zu entscheiden, was relevant ist und was nicht.» Haraldsson nickte auf eine Weise, die verriet, dass er nur darauf wartete, bis sie ihren Satz beendet hatte, um sie korrigieren zu können. Und tatsächlich gelang es Hanser nicht weiterzusprechen, weil er sie unterbrach.
«Ich weiß, dass sie verantwortlich sind, aber gleichzeitig haben sie mir deutlich signalisiert, dass sie eng mit mir zusammenarbeiten wollen.»
Hanser verfluchte Torkels Diplomatie. Jetzt musste sie die Rolle der Bösen übernehmen. Nicht, dass das groß etwas an Haraldssons Verhältnis zu ihr ändern würde, aber unangenehm war es dennoch.
«Thomas, die Reichsmordkommission hat die Ermittlungen übernommen, und das bedeutet, dass du nicht mehr, in keinerlei Weise, daran teilhaben wirst. Es sei denn, sie bitten dich ausdrücklich darum.»
So, jetzt war es gesagt. Zum zweiten Mal.
Haraldsson sah sie kalt an. Er verstand schon, was sie vorhatte. Wenn sie es aufgrund ihrer nicht vorhanden Erfahrung und ihren mangelnden Führungsqualitäten für notwendig erachtete, die Reichsmordkommission zu Hilfe zu rufen, wollte sie natürlich nicht, dass einer ihrer eigenen Untergebenen mit den Rettern zusammenarbeitete. Die sollten den Fall allein lösen und Hansers Vorgesetzten
Weitere Kostenlose Bücher