Der Mann, der mein Leben zum Entgleisen brachte
vertraut hatte, aber der neue Wer-auch-immer mit Tarnnamen Hubert Hetzmann rannte ihm davon. Er erreichte knapp vor dem Polizisten den Ausgang. Frischer Aprilwind fuhr ihm unter die Hosenbeine des fremden Anzuges. Er rannte weiter auf dem Gehsteig an der Glasfront der Halle entlang, was unklug war, denn durch andere Ausgänge hätten anderen Polizisten ihm den Weg abschneiden können. Aber Wer-auch-immer hatte Glück. Er sprang, als die Straße nach rechts Richtung Autobahn abknickte, über ein niedriges Mäuerchen, fiel verdammt tief, prallte hart auf Beton, ging in die Knie, schnellte hoch und rannte weiter.
Er sah den Polizisten hinter sich zögern. Bei e inem weiteren Blick über die Schulter sah er ihn springen, hörte ihn aufschreien, sah ihn auf den Hintern fallen und sich den Knöchel umklammern. Erschreckend nah heulte die Sirene eines Polizeiautos auf. Dort vorne hinter einem Maschendrahtzaun lag ein Kiefernwäldchen. Dort wollte er hin, in den Wald.
Er rannte mit hochfliegenden Knien. Seine Arme ruderten wie zwei ungleiche Schwungscheiben, denn der künstliche Arm mit dem Gipsverband, o bwohl fest an den Stumpf geschnallt, pendelte und wackelte im Ärmel herum. Nach Monaten der Linksorientierung war auf einmal rechts schwerer als links.
Er sprang hinunter auf eine aufste igende Anfahrt zu einem Parkdeck und weiter auf einen Fußweg, rannte Richtung Wald und durchbrach eine Buschreihe, die erste zarte hellgrüne Blättchen trieb. Weiter über einen Waldweg, rechts zwei parallel laufende Geleise, mit zwei Sätzen darüber und rein in den Wald, in die Büsche und Bäume, runter auf den Bauch, Deckung suchen zwischen einem Holzstoß und einem Kiefernstamm, unterdrückt schnaufen und warten.
Es muss später Vormittag gewesen sein, als ich der Passkontrolle davongelaufen war, und so hatte ich knapp neun Stunden auf der kalten, feuchten Erde liegend auszuharren, bis es endlich dunkel war. Ich hatte die Flugzeuge und Züge gezählt und den Waldweg beobachtet, ein paar Spaziergänger hin und herlaufen sehen, die den Jumbos nachsahen, ich hatte keine Sirenen mehr gehört.
Als es so finster war, dass ich die Geleise und den Waldweg nicht mehr erkennen konnte, stand ich auf, klopfte mich ab, en tledigte mich des künstlichen Armes und der Krawatte, stopfte beides unter den Holzstoß und bedeckte die Stelle mit Laub. Quer durch die Baumstämme stapfte ich Richtung Autobahn, hielt mich dort am Waldrand und folgte dem Verlauf der achtspurigen Trasse, links neben mir Dunkelheit und feuchte Stille, rechts neben mir Brausen und Röhren und vorbeiflitzende Lichter. Ich hatte noch 100 Dollar in der Tasche, aber ich hätte nicht gewagt, eine Bus- oder Bahnkarte damit zu bezahlen. Es gab andere Wege, nach Hause zu kommen.
Schier endlos lang musste ich mich an der Autobahn entlang ha ngeln. Obwohl es unmittelbar neben mir vor Scheinwerfern wimmelte, sah ich meine Füße nicht, so dunkel war es im Wald, aber direkt neben der Straße zu laufen, hätte eine Polizeistreife auf mich aufmerksam machen können. Zweige kratzten mir durchs Gesicht, an einem abgestorbenen Fichten-Ast holte ich mir eine blutige Schramme am linken Backen. Einmal stolperte ich und rutschte einen Hang hinunter. Meine Knie waren danach nass und die Hosenbeine matschig.
Es war weit nach Mitternacht, als ich endlich an einem Autobah nrastplatz herauskam. Die Lastwagen abseits der Tankstelle standen verschlossen da, die Fahrer schliefen in ihren Kojen. Aus dem Tankstellen-Shop kam ein Mann mit karierter Jacke. Er hatte zwei Snickers, die Bild-Zeitung und eine Schachtel Zigaretten gekauft und steuerte auf das Führerhaus eines blauen MAN-Lasters mit Anhänger zu. Ich trat ihm in den Weg.
„Fahren Sie zufällig Richtung Süden?“
Er musterte mich von den matschigen Knien bis hinauf zu der blutigen Schramme und schüttelte den Kopf. Er gab mir nicht einmal eine Antwort, stieg ein und zog die Tür zu, ohne mich noch einmal anzuschauen. Weit und breit war kein anderer Lastwagenfahrer, den ich hätte fragen können.
Im hinteren Bereich des Parkplatzes sah ich eine Bank. Dor thin ging ich, setzte mich und wollte nachdenken, aber mir fiel keine bessere Lösung ein, um möglichst unauffällig nach Hause zu kommen, und so blieb ich sitzen um zu beobachten und weitere Lkw-Fahrer abzupassen. Ich war erhitzt vom Laufen, lehnte mich zurück und schloss für einen Moment die Augen.
Bitterlich schlotternd wachte ich wieder auf. Übergangslos war ich
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