Der Mann, der mein Leben zum Entgleisen brachte
wohnte, halbwegs Deutsch sprach und sich als Schwager des Fischers vorstellte. Der Mann wirkte vertrauenswürdig auf mich. Ich besprach meinen Plan mit ihm, und er schlug mir ein Geschäft vor: Wenn ich ihm alles Geld gäbe, das ich bei mir hatte, würde er mir den Weg nach Hause ebnen.
Ich gab ihm 3.500 Dollar, behielt mir eine Notreserve von 100 Dollar, rechnete insgeheim damit, einem Betrüger aufzusitzen oder zumindest in Schwierigke iten ohne Ende zu geraten, aber dieser Mann, Juri, betreute mich mit der Professionalität eines Fünf-Sterne-Reiseveranstalters. Er fuhr mich nach Alma-Ata, brachte mich in einem ordentlichen Hotel unter, beschaffte mir einen Anzug, der mir nicht einmal schlecht stand, einen künstlichen Arm, den er zur Tarnung auch noch eingipsen ließ, und einen Pass auf den Namen Hubert Hetzmann, den ich als Laie nicht von einem echten Pass hätte unterscheiden können, und wahrscheinlich war es auch ein echter, in den man nur das Foto montiert hatte, das Juri von mir hatte machen lassen.
Schon drei Tage nach unserer Ankunft in Alma-Ata brachte er mich, ausgestattet mit einem Koffer und einer Reisetasche mit j eweils ein paar Klamotten aus dem Altkleidersack als Scheingepäck zum Flughafen, begleitete mich bis zur Gepäckkontrolle, verabschiedete mich wie einen alten Freund, und all meine Befürchtungen, die ich jetzt noch hatte, zerstreuten sich rasch. Es ging alles reibungsloser als bei manch anderer Flugreise, die ich in meinem Leben mit echtem Pass und echtem Gepäck gemacht hatte.
Um 8.14 Uhr an einem Donnerstag im April 1992 saß ich auf me inem Fensterplatz im Flugzeug, und fast auf die Minute pünktlich um 8.32 Uhr rollte die Maschine über die Startbahn, beschleunigte und hob ab. Keine Probleme beim Umsteigen nach zwei Stunden Aufenthalt in Moskau. Im Flugzeug noch einmal eine halbstündige Verzögerung, mein Puls beschleunigte sich, meine linke Hand schwitzte. Dann das Zeichen zum Anschnallen. Die Verzögerung hatte mich aufgeschreckt, und meine Nervosität hielt sich bis zum Landeanflug auf Frankfurt. Erst jetzt, so dachte ich mit einem stillen Lächeln, war ich wirklich frei. Die Odyssee, meinte ich, war ausgestanden.
3. Teil
Kapitel 15
Der deutsche Grenzpolizist, dem ich meinen Pass vorlegte, kam mir zuerst nur ein bisschen träge vor. Ein junger Kerl, vie lleicht noch unsicher und bedacht darauf, alles hochkorrekt zu machen. Er blätterte alle Seiten des Passes durch und dann wieder zurück. Er schaute das Passbild aus der Nähe an, sah mir ins Gesicht und wieder auf das Passbild. Dann prüfte er das Ausstellungsdatum, das wegen der Stempel im Pass auf zehn Jahre zurückdatiert war. Auf dem Passfoto aber trug ich den gleichen Anzug wie jetzt, die gleiche Frisur, hatte das alte, ausgemergelte Gesicht von vorgestern.
„Wann waren Sie in Australien?“
„Meinen Sie den ersten oder den zweiten Aufenthalt?“
„Den ersten.“
„Im Juni 1985. Ein paar Tage in den Juli hinein. Zwei Jahre später war ich dann noch mal dort.“
„Wie lange sind Sie in Kasachstan gewesen?“
„Seit 21. Februar. Das müsste aber aus dem Einreisestempel hervorgehen.“
Die Schlange hinter mir war gut 30 Personen lang. Die Me nschen waren so ungeduldig wie ich es war, endlich durch die Abfertigung zu kommen und die letzte Etappe nach Hause anzugehen. Den jungen Grenzpolizisten kümmerte das nicht, er tat ja nur seine Pflicht. Ich starrte auf seinen sich bereits lichtenden Mittelscheitel, während er weiter in meinem Pass blätterte.
Was fre ute ich mich darauf, Melanie gegenüberzutreten, aber mir war auch kribbelig bei dem Gedanken, denn sie würde Erklärungen erwarten, vor allem die: Wo bist du so lange gewesen? Wie bitte, von diesem Honkes gekidnappt, einfach so, und nach Kasachstan verschleppt – wieso denn das? Aus Rache, weil du im CbT geholfen hast ihn zu verhaften? Vielleicht hast du dich da eher zu was ganz Verrücktem überreden lassen und hast gar nicht lang gefragt, das ist ja schon öfter vorgekommen...
Ich würde in ihren Augen sehen, dass es vorbei war. Ich war auch bereit für die Trennung. Es war vernünftiger, einen Schlussstrich zu zi ehen. Aber es würde so weh tun. Ich hatte während meines Martyriums viel öfter und sehnsuchtsvoller an sie gedacht als ich es mir hatte eingestehen wollen. Ich hatte sie vermisst. Aber ich hatte sie nicht vermissen wollen - aus schnödem Stolz heraus, weil sie mich so kalt verabschiedet hatte mit ihrem Begrüßungskuss bei ihrer
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