Der Mann, der mein Leben zum Entgleisen brachte
Kurzentschlossen kraulte ich weiter vom Ufer weg. Es tanzten in der Ferne dunkle Flecken auf dem Wasser, Boote, wie ich hoffte, und auf dem Weg dorthin vielleicht unterzugehen war immer noch besser als am Ufer abgestochen zu werden. Kraulen ging besser als Brustschwimmen. Es war, im Vergleich zu früher, genauso irritierend, mit einem Stumpf statt mit einer zum Paddel geformten Hand durchs Wasser zu ziehen, aber es war weniger einseitig, ich konnte besser Kurs halten. Ich schwamm, bis ich erschöpft war, und schaute dann zum Ufer zurück. Wie Strichfiguren sah ich die beiden Verbrecher an Jakobs Auto hantieren. Sie schienen es im Wasser versenken zu wollen samt Jakobs Leiche, aber das Ufer war ein Geröllfeld und der Lada kein Geländewagen. Ich konnte mich nicht kümmern, was am Ufer vor sich ging, ich musste weiter.
Wieder schwamm ich bis zur Erschöpfung, aber mit der Verbre nnungswärme in mir kam ich nicht gegen die Kälte des Wassers an, ich wurde träger in meinen Bewegungen und im Denken. Jakobs Lada schien jetzt direkt am Wasser zu sein, aber das konnte auch täuschen aus der Entfernung. Ich schwamm weiter und geriet mehr und mehr in eine Art Trancezustand.
Beim näc hsten Umdrehen war ich so weit weg, dass ich nicht mehr hätte sicher sagen können, ob da noch zwei Autos am Ufer standen oder nicht, und Menschen waren längst nicht mehr zu erkennen. Rings um mich blaue Wellen und Kälte. Aber eines der Boote schien näher zu kommen. Ich hielt darauf zu und schwamm nur noch. Ich vergaß, wer ich war, wo ich war, aber nicht, was ich tat, ich vergaß die Kälte und die Gangster und die Zeit, aber nicht mein Ziel.
Und irgendwann kam ich an. Der Fischer war mir entgegengetu ckert mit seinem kleinen weißen Boot, machte den Motor aus, beugte sich über die Bootskante, packte meine Hand und meinen Stumpf und zog mich an Bord. Er redete in einer fremden Sprache auf mich ein, aber schien keine Antwort zu erwarten. Er half mir, Hose und Hemd auszuziehen. Die Jacke hatte ich nicht mehr, aber ich erinnerte mich auch nicht, sie beim Schwimmen ausgezogen zu haben. Zum Glück hatte ich die Dollars in einer Hosentasche.
Er wickelte mich in eine braune, kratzige Wolldecke und redete dazu ohne Unterlass. Zitternd und zu ckend griff ich in die Tasche der Hose, die er ausgewunden und zum Trocknen ausgebreitet hatte, zog einen Schein heraus, gab ihn dem Mann und sagte:
„Alma-Ata. Ich muss nach Alma-Ata.“
„Ah, Alma-Ata“, antwortete er, grinste und ließ einen Wortschwall folgen. Ich zog noch einen Schein hervor.
„Alma-Ata! Ich bezahle Sie gut.“
Er nickte, grinste und warf den Motor wieder an.
Es herrschten zwei Stimmungen in mir vor bei der Bootsfahrt über diesen meergleichen See, die ich auf einem Bündel Netze in den Himmel dösend verbrachte. Ich war einerseits ungemein stolz auf meine Leistung, die weite Strecke durch das eiskalte Wasser geschwommen zu sein – es steckte doch noch ein Rest des alten Frank Fercher in mir. Und doch sah ich mich, trotz aller Strapazen, die hinter mir lagen, noch am Anfang meines Weges nach Hause. Der gefährlichste Teil lag erst vor mir.
Ebenso au ssichtslos wie vorhin den Killern zu entkommen schien es mir nun, ohne die Hilfe von Jakob das Land zu verlassen. Ich hatte Geld, das war sicher eine riesige Hilfe, aber nun kam ich in Regionen, in denen kein Deutsch gesprochen wurde. Ich stand vor der Aufgabe, mir im Dschungel der Millionenstadt Alma-Ata ein Flugticket und einen Pass zu besorgen, das Kontrollsystem der immer noch intakten totalitären Strukturen dieses postsozialistischen Landes zu überwinden, und ganz sicher würden die beiden Schergen von Honkes meinen Plan voraussehen und mich abfangen wollen. Solchen Kerlen schwamm man nicht so einfach davon.
In Sicherheit war ich erst, wenn das Flugzeug in Frankfurt gela ndet sein würde. Erst dann konnte ich aufatmen und würde nie wieder Verfolgung und Gefangenschaft zu fürchten haben. Ich würde in mein altes Leben zurückkehren und zufrieden sein damit.
Es sollte anders kommen.
Der Fischer fuhr mich quer über den Südzipfel des Balchasc hsees zur Mündung des Ili und den Ili flussaufwärts bis dorthin, wo er die Straße von Ust-Kamenogorsk nach Alma-Ata querte. Meine Sachen waren getrocknet und meine Kräfte zurückgekehrt.
Ich gab dem Fischer weitere 200 Dollar, und er bedankte sich d afür in einer Art, die ich nie erwartet hätte: Er machte mich mit einem Mann bekannt, der etwas weiter flussaufwärts
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