Der Mann, der mein Leben zum Entgleisen brachte
Umfeld, ts, Gangster...“ – er drehte die Augen nach oben als Spott über die Begriffe – „...Gangster ist ein ganz norm aler Beruf. Denkst du, die leben nur in ihrer Gangsterwelt? Die sind mitten unter uns. Vielleicht bin ich ja auch einer.“
Er dachte wohl, dass er mögliche Vermutungen diesbezüglich mit der flapsigen Bemerkung zerstreuen konnte. Ich aber blieb wac hsam. Mir ging das alles irgendwie zu glatt.
Wir waren nicht weit vom Fernsehturm entfernt gewesen. In ein paar Minuten erreichten wir den um diese Tageszeit bereits beachtlich bevölkerten Stadtteil Mitte. Neben einem Friedhof etwas abseits fanden wir Platz zum Parken und machten uns auf den Weg zurück Richtung Alexanderplatz.
„Du musst dich tarnen“, sagte Rogalla plötzlich, als wir an e inem Second-Hand-Laden vorbeikamen, der so groß war wie ein Supermarkt. Er schaute auf die Uhr.
„Kurz vor neun, die machen gleich auf.“
„Jetzt hör aber auf mit der Detektiv-Klamotte. Als was soll ich mich denn tarnen?“
„Das ist keine Klamotte“, sagte Rogalla ernst. „Wir sind hier mitten im Zentrum, da kann man nicht unbeobachtet beobachten. Wenn Honki plötzlich neben dir steht, ist alles im Eimer. Du kannst natürlich auch im Auto warten, während ich ihn s uche.“
„Nein, ich kenne ihn besser als du.“
„Siehst du, und er kennt dich.“
„Also gut. Aber bitte nichts Quatschiges.“
Das Geschäft öffnete, und wir gingen hinein. Rogallas ersten Gedankenblitz lehnte ich rundheraus ab: Nietenlederjacke, schwarzen Vollbart und schwarze Langhaarperücke.
„Damit lenkst du doch seine Blicke förmlich auf mich.“
„Du bist ein Durchschnittstyp, da taugt keine Durchschnittstarnung für dich.“
„Aber es muss ja auch nicht gleich ein Faschingskostüm sein.“
„Wie wäre es damit?“
Trenchcoat und Schiffermütze. Ich verzog das Gesicht.
„Bart muss sein“, meinte Rogalla und klebte mir einen buschigen Schnauzer an. Dazu die Schiffermütze, eine der typisch knittrig verwaschenen DDR-Jeansjacken mit einem Kissen als Schmerbauch darunter, eine Hornbrille – und ich fühlte mich tatsächlich als ein anderer.
„Haben Sie künstliche Arme“, brüllte Rogalla durch den Laden, und ich versank fast im Erdb oden.
„Nee“, kam es vom Verkäufer zurück. „Aber wär ne witzige Idee als Firmenlogo: The Second Hand...“
Er lachte über seine ach so tolle Assoziation, und Rogalla stimmte meckernd ein.
„Ich will keinen künstlichen Arm“, zischte ich ihm zu und ve rsuchte, mir meine Betroffenheit nicht anmerken zu lassen. Nicht, dass mir Schwarzer Humor nicht läge – aber noch war meine seelische Wunde zu frisch für Späße dieser Art.
„Wir könnten dir einen neuen Kopf aufschrauben, und Honki würde dich trotzdem erkennen, so lange du einarmig herumlatscht. Warte mal...“
Er stopfte meinen rechten Ärmel mit drei gehäkelten Klopapier-Verkleidungen aus, schob ihn in die rechte Jackentasche und dazu meine Linke in die linke Tasche.
„Perfekt.“
Er hatte nicht unrecht. Wieder draußen, passierten wir eine Schaufensterfront und sahen uns darin entlang laufen. Ich war erstaunt über meinen Anblick.
„Mann, ist mir echt peinlich, mit dir gesehen zu werden“, prust ete Rogalla.
Ich schaute ihn an und erwiderte:
„Zum Glück hat bei dir die Natur für die nötige Tarnung gesorgt und dir eine Glatzenperücke wachsen lassen. Selbst ich hätte dich kaum wiedererkannt.“
„Ich hab keine Glatze“, fiel er mir ins Wort, und diesmal war seine Verärgerung nicht gespielt. „Ich hab nur eine andere Fr isur, klar. Außerdem hat Honkes mich noch nie gesehen.“
„Klar“, versicherte ich und grinste in mich hinein. „Und wie geht es jetzt weiter?“
Wir hatten den Fuß des Fernsehturmes erreicht. Die Sonne schien über den Platz, es war warm geworden, und ich begann in der dicken Jeansjacke zu schwitzen.
„Wir schlendern herum und halten die Augen offen.“
„Gar nicht so einfach mit der Brille. Ich sehe alles verschwommen. Ich glaube, mir wird schlecht, wenn ich das Ding länger aufhabe.“
„Stell dich nicht so an.“
Er klang immer noch verärgert, und ich hielt lieber den Mund.
Bis zum Mittag hatten wir mindestens 20 mal den Turm umru ndet. Ich war durchgeschwitzt, und die Füße taten mir weh. Rogalla spendierte Bratwürste mit Cola. Wir hockten uns zum Essen auf einen Brunnenrand.
„Vielleicht dauert es Tage, bis der sich hier mal blicken lässt“, meinte ich kauend. „Wer weiß, ob das
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