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Der Mann, der mein Leben zum Entgleisen brachte

Der Mann, der mein Leben zum Entgleisen brachte

Titel: Der Mann, der mein Leben zum Entgleisen brachte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Köhler
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Angestelltenräumen ein paar Klamotten zusammensuchen, draußen ein Auto aufbrechen, das mit dem Kurzschließen konnte ja wohl nicht so schwer sein, und zu irgendeiner Grenze würde ich dann schon durchkommen.
    Einzige Voraussetzung: Ich musste diese Handschellen los we rden. Mit Melanie war ich mal in Las Vegas in einer Show gewesen, bei der einer der Akteure mit Handschellen an Händen und Füßen und Ketten um den ganzen Körper gefesselt in eine winzige Kiste gepfercht in einem Wasserbassin versenkt wurde. In weniger als eineinhalb Minuten hatte er sich befreit und war aufgetaucht. Tricks hin oder her – da würde es mir doch wohl möglich sein, wenigstens diese eine Handschelle um mein eines Handgelenk loszuwerden!
    Die mondgesichtige Ärztin band ihren Pferdeschwanz mit einem Gu mmi; Haarnadeln sah ich keine an ihrem Kopf. Unter ihrem Instrumentensatz war nichts, das sich für das winzige Schlüsselloch der Handschellen geeignet hätte. Die Schwester, die mir dreimal am Tag mein Essen brachte und auf jedes Läuten hin umgehend die Bettpfanne, bestand nur aus weißem gestärktem Kittel und Gummischuhen, sie trug weder Schmuck, ein Brille noch hatte sie irgendwas Haltgebendes in ihren kurz geraspelten Haaren nötig.
    Zwei Tage nach meiner Einlieferung kam ein Oberarzt mit einem Fragebogen in mein Zimmer. Sein En glisch war so mies, dass wir bei gerade vier von rund 30 Fragen zu einer Antwort kamen: Ich schrieb ihm mein Alter auf, verneinte, dass meinem Arm seit dem Biss eine nennenswerte ärztliche Behandlung zuteil geworden sei, verneinte Allergien und bestätigte meine Folterhaft im Käfig eines Kartoffel- und Kohlenkellers, wenn ich auch zur Dauer keine Angaben machen konnte. Ich zeigte mich so kooperativ wie möglich und bat immer wieder um Stift und Papier, um alles genau aufmalen zu können, auch wenn es eine Qual war mit meinem geschwollenen, dick verbundenen Arm, aber ich biss die Zähne zusammen, denn ein Teil seiner Unterlagen war mit Büroklammern zusammengefasst.
    Nie ließ er meine Hand aus den Augen, und so versuchte ich es, als er aufbrechen wollte, mit dem blödesten Trick, der mir ei nfiel: Ich redete drauf los und lenkte die Aufmerksamkeit auf eine der längst verheilten Schrammen an meinem Schädel, als stünde sie in engem Zusammenhang mit dem Biss, und tatsächlich wurde der Arzt neugierig, legte seine Papiere auf seinem Stuhl ab, beugte sich über mich, um meinen Kopf zu begutachten, und ich erfummelte mir derweil mit blind tastenden Fingern eine der Büroklammern. Da ihm an meinem Kopf nichts von Bedeutung auffiel, zuckte der Arzt mit den Schultern, nahm seine Papiere wieder auf und verließ mein Zimmer. Ich hätte an die Decke springen können vor Begeisterung über meinen Erfolg. Fieberhaft suchte ich nach einem Versteck für die Büroklammer, aber ich betrog mich dabei selbst, denn in Wahrheit wollte ich sie gar nicht verstecken und noch tagelang warten, um zu Kräften und mehr Information und längeren Haaren zu kommen, ich wollte so schnell wie möglich hier raus.
    Da ich keine Uhr hatte, konnte ich nur schätzen, wann in di eser Anstalt was passierte. Es half mir in meiner Tätigkeitslosigkeit, für bestimmte wiederkehrende Abläufe bestimmte Zeiten zu ersinnen und beides fest miteinander zu verknüpfen: sechs Uhr morgens musste es wohl sein, wenn die Schwester mich weckte, indem sie die Tür so heftig aufstieß, dass sie an die Wand knallte, auf ihren Gummischuhen ins Zimmer quietschte, mir das Fieberthermometer in die rechte Armbeuge steckte und mir die Bettpfanne unter den Hintern schob; sieben Uhr Frühstück; gegen acht wurde es geschäftig im Haus, im Gang hörte ich ständig Schritte und Stimmen, Türen schlugen, Getrampel und Gepolter von oben und unten; Visite um 10 Uhr; Mittagessen natürlich um zwölf, davor Fiebermessen, danach Schichtwechsel der Schwester; endlos öde sechs Stunden bis zum Abendessen um 18 Uhr, in denen ich, um nicht zu verblöden, immer wieder die 1.000 Teile des Moskau-Puzzles an der Wand neben mir zählte; um 19 Uhr noch mal Fiebermessen, Kontrolle meiner Handschellen, letzte Bettpfanne; gegen 20 Uhr wurde es totenstill im Haus.
    So lange wartete ich an diesem Abend, bis ich die Büroklammer u nter meiner Zunge hervorholte und zurechtbog. Zuerst stierte ich, halb aufgerichtet zu meiner linken Hand hinübergebeugt, wahllos mit der Spitze des kleinen Drahtes im Handschellen-Schlüsselloch herum, ergebnislos; meine Wucherung fraß mich auf, Schweiß lief

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