Der Mann, der mein Leben zum Entgleisen brachte
Handschellen, mit denen mein linker Arm ans Bettgestänge gefesselt war? Auch als Formalität konnte ich Zwangsmaßnahmen dieser Art nur mit mühsamer Beherrschung dulden. Mein rechter Arm gefiel mir gar nicht, die Haut schuppte und verkrustete sich zum Reptilienpanzer. Ich wollte so schnell wie möglich in eine deutsche Spezialklinik damit.
„Do you speak English?“, frage ich die mondgesichtige Ärztin, als sie mit einem kastenartigen Pl astikgefäß an mein Bett kommt. Mit scheuem Mädchenlächeln gibt sie mir mit Daumen und Zeigefinger das Zeichen: ein ganz klein bisschen...
„Can I go home today or tomorrow?”, frage ich in meinem Übe rschwang, mich endlich mit jemandem verständigen zu können. Natürlich will ich hören: Heute, Sie können heute nach Hause gehen, gleich im Anschluss wenn ich diese Tests gemacht habe. Ihr Lächeln klingt ab. Sie entnimmt ihrem Plastikgefäß ein löffelartiges Metallinstrument mit langem Stiel.
„Not today“, sagt sie und schaut mich nicht an dabei. Ich muss den enttäuschten Buben in mir b eherrschen.
„Tomorrow?“, setze ich nach und lächle sie tapfer an. Sie desinf iziert mit einem Spray den kleinen Metallöffel, dann meinen Arm.
„Not today“, antwortet sie.
„Problems with my arm?“
„Yes.“
Sie wirkt erleichtert über diese Wendung des Gespräches. Ich bin das Gegenteil von erleichtert, hole Luft für die nächste Frage. Sie gibt mir mit einer Handbewegung zu verstehen, sie brauche nun Ruhe für ihre Tests.
Ich lehne mich z urück, gebe mich meiner Enttäuschung hin, bin dabei voll tiefen Vertrauens auf ihre ärztliche Hilfe – bis zu dem Moment, in dem sie beginnt, mir mit dem Löffelchen über meine schuppig wuchernde Haut zu schaben. Es fühlt sich an als kratze sie mit einem Messer in einer offenen Wunde herum. Ihr Blick sagt: Tut mir leid, dass ich Ihnen weh tun muss, aber es ist nur zu Ihrem Besten. Die schwarzen, von meinem Arm gekratzten Schuppen rieseln in ein Reagenzglas, das sie sorgsam verstöpselt, beschriftet und zurück in den Plastikkasten steckt.
Mir bricht der Schweiß aus, als sie das nächste Instr ument hervorholt. Ich kralle mich mit beiden Händen links und rechts ans Bettgestänge und richte den Blick zur Decke. Ich höre die Ärztin neben mir werkeln. Plötzlich rast ein ungeahnter Schmerz durch meinen Arm, schlimmer noch als im Moment des Bisses fährt es mir in die tiefsten Tiefen meines Körpers. Es fühlt sich an, als wird mir ein Messer mit Wucht ins Handgelenk gerammt und in der Wunde gedreht. Ich fahre hoch und schreie:
„Was machen Sie da!“
Mit einem Instrument, wie ich es noch nie gesehen habe, hat mir diese Schlächterin bei vollem Bewusstsein eine Hautprobe entnommen! Ich sehe, wie sie den blutigen Fetzen in ein Reagenzglas tüpfelt und die Probe sorgfältig verschließt und etikettiert, bevor es ihr einfällt, meinen blutenden Arm zu versorgen. Ich starre auf das rot pulsierende Loch in meiner Reptilienhaut und begreife den Zusammenhang zwischen diesem ungeheuerlichen Eingriff und den Handschellen an meinem linken Arm.
„Give me your arm“, sagt sie dienstlich-beflissen und macht ein Gesicht, wie ich es mir bei einem Biologiestudenten vorste lle, der gerade eine Ratte zerschnipselt. Sie hat eine Kompresse in der linken und eine Verbandsrolle in der rechten Hand. Ich starre sie fassungslos an, mein Blut tropft auf das saubere, weiße, geflickte Bettlaken.
„We also want to help you“, sagt sie geduldig.
Ich lasse mich verarzten. Dieses voll Kalkül eingesetzte „also“ hat meinen letzten Zweifel darüber zerstreut, wo ich hier gelandet bin. Aber nicht mit mir, denke ich trotzig: Meine Chancen auf Flucht waren noch nie so gut wie hier in diesem unvergitterten Krankenzimmer.
Das beschließt sich leicht, wenn man die labyrinthische Gruft eines Staatsgefängnisses hinter sich hat und die Hölle eines sargartigen Käfigs. Ich überdachte meine Situation aus allen Blickwinkeln und kam immer wieder zu dem Schluss, dass sie günstiger nicht hätte sein können: Ich musste nur ein paar Tage abwarten, bis ich wieder zu Kräften gekommen und bis mein Schädel nicht mehr sträflingskahl sein würde, bis ich die Schichtpläne dieser medizinischen Versuchsanstalt durchschaute. Dann würde ich eines Nachts, wenn hier alles totenstill und ich wie immer unbewacht war, weil sie mich für bettlägerig hielten, einfach zur Tür hinausgehen, denn ein Frank Fercher war niemals wirklich bettlägerig, mir in den
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