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Der Mann, der mein Leben zum Entgleisen brachte

Der Mann, der mein Leben zum Entgleisen brachte

Titel: Der Mann, der mein Leben zum Entgleisen brachte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Köhler
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der Bank. Aus den wenigen leise gesprochenen russischen Brocken der Ärzte reimte ich mir zusammen, dass es sich bei der Seuche um Tuberkulose handelte. Ich war der letzte in der Reihenfolge der Untersuchungen, und mit mir befasste man sich am gründlichsten.
    Es war mein angeschwollener, wuchernder Arm, der das Inte resse der Ärzte fesselte. Sie stellten den Wärtern Fragen, bekamen einsilbige Antworten. Eine der Frauen fragte mich etwas, deutete einen Biss an ihrem Arm an und zeigte auf meinen Arm. Ich nickte. Die Ärzte verlangten etwas von den Wärtern, es wurde diskutiert, beinahe gestritten. Die Wärter stellten sich stur und blockten alle Fragen ab. Die Ärzte verließen verärgert die Zelle.
    Es mochten zwei Stunden vergangen sein, vielleicht mehr, ich rechnete jeden Moment mit dem Abendessen und sehnte mich am me isten nach einem Schluck Wasser, da kamen die Ärzte in Begleitung anderer Wärter zurück. Die ganze Aktion hatte etwas Überfallartiges: Zelle auf, zwei Wärter kommen herein, steuern zielstrebig auf mich zu, greifen mich und zerren mich von der Bank. Ich versuche mich zu wehren, warum eigentlich, ich weiß ja nicht, worum es geht, aber es fehlt mir die Kraft, schlaff hänge ich im Griff der bulligen Wärter, werde durch den Zellentrakt getragen, die Treppen hoch, durch die beiden inzwischen wohlbekannten Zwischengitter, die Ärzte immer im Schlepptau.
    Zwischenstation im Untersuchungsraum des Anstaltsarztes. Ich we rde auf eine Pritsche gelegt, man konfrontiert ihn mit meiner Wucherung, er zuckt die Schultern. Diskussion, Gestikulieren, heftige Vorwürfe von einer der Ärztinnen. Gleichgültigkeit seitens des Anstaltsarztes. Ich werde von der Pritsche gezerrt, aus dem Untersuchungsraum, und wieder geht es durch labyrinthische Gänge.
    Endlich eine Rampe, ein altmodischer und kümmerlicher Sanitätsw agen, man verfrachtet mich auf die Rückbank. Mein gesunder Arm wird an eine Verstrebung des Sitzes gekettet. Der Schlüssel für die Handschellen verschwindet in der Tasche des Arztes, der sich ans Steuer setzt. Eine Ärztin vorne, eine hinten neben mir. Wir fahren los. Nur Ärzte im Auto, keine Wärter – ich kann mir nur einen Reim auf diese Entwicklung machen: Diese Ärzte haben meine Wucherung als Folgen eines Bisses erkannt, Erkundigungen über meinen Fall eingezogen, meine Unschuld abgeleitet und nachgewiesen. Nun werde ich zur Behandlung in ein Krankenhaus gebracht und danach freigelassen, die Handschellen sind reine Formalität. Eine Woge von Erleichterung breitet sich warm in mir aus. Ich lehne mich zurück und genieße die Fahrt.

Kapitel 10
     
    Frank Fercher, der Millionenerbe vom Dienst, hätte dieses Kra nkenzimmer empört zurückgewiesen. Es war klein, trist, das Bettzeug geflickt, kein Fernseher, kein Telefon. Einziger Zimmerschmuck war ein neben dem Bett aufgehängtes Puzzle des Roten Platzes in Moskau.
    Frank Fercher, der frisch entlassene Sträfling, sog die Saube rkeit und Wärme des Zimmers auf wie ein poröser Schwamm ein wenig Feuchtigkeit. Er hatte sich unter einer mehrstrahligen Dusche mit warmem Wasser und Hygienelösung gründlich waschen dürfen und war danach nicht mit ätzendem Pulver bestäubt worden. Statt des scheußlichen Anstaltskittels bekam er ein frisches T-Shirt und Boxershorts – die eine der beiden Ärztinnen, eine mondgesichtige, lieb lächelnde Blondine mit Pferdeschwanz hatte ihm die Sachen besorgt. Allein die Nähe von wohlmeinenden Menschen war ein Segen. Man behandelte ihn respektvoll, fast schon überhöflich. Und servierte ihm ein wahres Festessen ans Bett: Bouillon mit Ei, Wurstbrote, eine Apfelsine und Schokoladenpudding als Nachspeise. Dazu Orangensaft und Tee, eine halbe Vitamintablette und ein Glas Wasser. Er aß in winzigen Happen, nahm bewusst die Energie aus jedem Bissen in seinen Körper auf und gab sich dem Gefühl hin, wieder zu Kräften zu kommen: der frisch entlassene Sträfling.
    Frank Fercher, der genesende Patient, spürte bald die Dankba rkeit schwinden und die Ungeduld wachsen. Es ist unfassbar, wie rasch paradiesische Glücksseligkeit zum Alltag wird. Schon am nächsten Tag, nach zehn Stunden festen, erholsamen Schlafes in meinem sauberen Bett, ging mir der Fortschritt nicht mehr schnell genug. Die Nährlösung, die seit meiner Einlieferung in dieses Krankenzimmer in die Beuge meines linken Armes tropfte und sich mit meinem Blut vermischte, hatte mein Körper nicht mehr nötig, wie ich fand. Und was sollten überhaupt die

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