Der Mann, der mein Leben zum Entgleisen brachte
weidete sich an der frischen Schneeluft. Mein nackter Körper zuckte in Zitterkrämpfen.
Ich reimte mir zusammen, was passiert sein mochte nach meinem Fluchtversuch. Den Kerl mü ssen wird richtig bestrafen, hatten sich die Wärter gedacht. Dunkelhaft ist nicht genug. Da mochte einem vom Personal dieser Käfig im Keller seines Privathauses eingefallen sein. Warum nicht? Wenn kümmerte es hier an diesem Ort im Nirgendwo? Es gab den Betonkoloss des Gefängnisses mit seinen Mauern und Wachtürmen, und es gab die paar Häuser des Personals nebenan, aber ansonsten war da nur weiße Weite unter blassblauem Himmel.
„So weit die Füße tragen“ fiel mir ein, die Serie hatte mich als Kind gefesselt und zutiefst bewegt. Nur raus und weg und immer nach Westen, durchhalten, egal wie lange es da uert, entrinnen der Hölle des Gefangenseins. Der Gedanke an den unerschütterlichen Filmhelden des Fernseh-Klassikers gab mir neuen Lebensmut und weckte den unbedingten Drang nach Flucht.
Aber erst mal ging es wieder hinein in den Kerker durch einen N ebeneingang am Hauptportal der Strafanstalt. Wärter mit Gewehren beglotzten mich: teilnahmslos, mitleidlos. Mein durchhängender Rücken, der es gewohnt war, ausgestreckt zu liegen, verspannte sich in der ungewohnten Haltung, krampfartige Schmerzen fuhren mir durch den Körper. Sie setzten mich in einem gekachelten Raum ab. Ich versuchte, wenigstens auf alle viere zu kommen, aber blieb liegen wie eine Schildkröte auf dem Rücken.
Sie spritzten mich ab. Einer der Wärter warf mir ein Stück Se ife zu. Ich roch daran, und es kamen mir die Tränen. Ich seifte ein, was mir erreichbar war. Die Starre meines Körpers löste sich, unter Schmerzen eroberte ich mir einen Teil meiner Bewegungsfreiheit zurück. Auf die Beine kam ich danach noch nicht, aber auf alle viere.
Wieder der Wasserstrahl. Dann das verhasste weiße Pu lver. Sie zerrten mich hoch, zerrten mich weiter, meine Augen tränten. Schädel und Gesicht wurden mir rasiert. Anstaltskleidung, Pulver abklopfen verboten. Anstaltsarzt. Angeekelter Blick auf meine Wucherung. Zwischengitter. Zwischengitter. Zellentrakt. Sie schoben mich durch die Luke, durch die ich, wer weiß vor wie vielen Wochen, aus eigener Kraft gehechtet war.
Da war ich nun wieder. Die selbe Zelle. Aber nur noch neun Mann. Der Elch war nicht mehr da. Der Kobold und der beulige Jüngling lagen, so niedergestreckt wie ich selbst, inmitten anderer ele nder Gestalten auf der Holzbank. Ich kroch von der Luke zu ihnen, kroch auf die Bank und streckte mich aus. Was war es warm und bequem und angenehm hier im Vergleich zu dem Kellerkäfig! Niemand vertrieb mich mehr. Mein Fluchtversuch hatte sich irgendwie also doch gelohnt. Mit diesem Gedanken schlief ich vor Erschöpfung ein.
Der nächste Tag war eine Qual, aber er war auch ein Fortschritt. Ich spürte meinen Körper wieder. Ich hatte Muskelkater überall. Mein Wille war zurückgekehrt. Aufgabe des Vormittages war es, mich aus eigener Kraft zu setzen. Ich brauchte bis zum Mittag dafür. Essen und Wasser wurde uns durch die Luke geschoben und unberührt wieder abgeholt. Niemand hier drin war in der Lage, sich die wenigen Meter dorthin zu schleppen. Ich fragte mich, wie sie die Leichen bargen. Krochen die Wärter durch die Klappe, um sie herauszuzerren?
Aufgabe des Nachmittags wurde es, mich auf das Abendessen abz urichten. Ich wollte es mir holen. Ich musste es mir holen, wollte ich wieder zu Kräften kommen und wollte ich vor allem die Gefahr verringern, mir die Seuche einzufangen, die hier grassierte. Ich hatte beschlossen zu überleben. Ich schaffte es aufzustehen und mich an der Wand und am Gitter entlang eine halbe Runde durch die Zelle zu tasten, war überglücklich mit diesem Erfolg, da kam eine Abordnung Wärter daher, schnauzte mich an und bedeutete mir mit Handzeichen, sofort zurück zur Bank zu gehen und mich wieder zu setzen. Zusammen mit den Wärtern versammelten sich ein Mann und zwei Frauen in weißen Kitteln am Gitter. Als ich zurück auf meinem Platz war, wurde die Zelle geöffnet.
Natürlich kam niemand durch die Klappe hereingekrochen, diese E rniedrigung blieb den Häftlingen vorbehalten. Ein Teil des Gitters ließ sich wie eine Schiebetür einen Spalt von der Wand drücken. Wärter verbarrikadierten diesen Zugang mit ihren Körpern und schleusten die drei Weißkittel in die Zelle. Einen meiner Mithäftlinge erkannten sie mit einem Blick als tot. Zwei Wärter kamen herein und zerrten ihn von
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