Der Mann, der mein Leben zum Entgleisen brachte
in den Bewusstseinszustand der Vormenschenzeit zurückgefallen. Ich atmete und lief, existierte ganz im Augenblick, und dass es eine Vergangenheit gab, die mich hierhergebracht hatte, und eine Zukunft, in der mein Vorwärtstappen enden könnte, hatte nicht nur aufgehört, eine Rolle zu spielen, ich hatte nicht genug Hirn in Betrieb, es zu erfassen.
Auch als ich irgendwann zurück an der Scheune war, ging mir nicht durch den Kopf, wie es nun weitergehen sollte. Ich ließ mich fa llen, lehnte mich, halb geschützt vom Dach, ans Scheunentor, Nieselregen fiel glänzend auf meine ausgestreckten Beine. Ich sah dem Nieseln eine Weile zu, fühlte den kalten Boden unter meinem Hintern und schlief ein.
Jemand schüttelte mich.
„Frank! Frank Fercher, aufwachen bitte! Ich bin es, Pastor Näb.“
„Herr Pastor“, sagte ich blöde wie ein Aufziehautomat, „mir ist der Sprit ausgegangen.“
Ich schloss die Augen, wollte ihn abschütteln, wollte weiterschl afen.
„Nicht wieder einschlafen, bitte. Ich muss dich in ein Bett scha ffen. Wo ist denn das Elselchen?“
„Die Straße lang“, antwortete ich ohne die Augen zu öffnen.
„Welche Richtung?“
„Den Lastern ... hinterher.“
„Nein, hör zu, nicht wieder einschlafen. Du musst mit mir hinlaufen, na komm schon.“
Er zerrte an mir.
„Ich kann nicht. Bin kaputt. Will nicht mehr.“
„Aber ich will!“
Mit einem Ruck wurde ich auf die Beine gestellt. Ich hatte keine Lust mitzukommen, und ich hatte keine Lust mich zu wehren. Ich ließ ihn machen.
„Du musst allein laufen, geht das? Ich hab den Kanister hier zu schleppen.“
Neben ihm stand ein 20-Liter-Benzinkanister.
„Ist der voll?“
„Nicht ganz, aber schwer genug. Du musst alleine laufen.“
„Alles klar.“
Also lief ich eben. Wir gingen schweigend nebeneinander her. Er musste den Kanister immer mal von einer Hand in die andere wechseln und zuweilen auch ganz absetzen und verschnaufen. Ich selbst lief wie aufgezogen, griff immer mal nach dem Kanister und wollte Tragen helfen, aber der Pastor lehnte entschieden ab. Irgendwann sagte ich:
„Die warten jetzt an der richtigen Scheune auf mich, aber mir ist der Sprit ausgegangen.“
„Die warten nirgends auf dich.“
„Bloß, weil ich so blöd war, an der falschen Scheune zu wa rten, ist das nicht komisch?“
„Nein. Das war nicht die falsche Scheune.“
„Ich habe daran gedacht, wie es wohl weitergeht, wenn wir an die erste Grenze kommen, wissen Sie. Das hat mich echt beschäftigt.“
„Petrowna hatte gar nicht vor, dich mitzunehmen. Tut mir leid, ich habe ihm gestern genau wie du g eglaubt, dass er dir helfen will. Heute Früh hat er dann plötzlich gesagt: Ich kann diesen Fercher nicht mitnehmen, diesen Geldsack. Du verstehst das doch, oder Justus, hat er gefragt.“
„Mein Vater hat immer gesagt: Eins nach dem anderen. Ich habe später mal ein Porträt über seine Karriere in einem Wirtschaft smagazin gelesen. Alfons Fercher, hieß es da, erlangte den Zenit seines Erfolges vor allem, weil er weiter vorausdachte als jeder andere in der Branche. Ihr habt ja keine Ahnung, habe ich denen geschrieben. Ich habe denen echt einen Brief geschrieben: In Wirklichkeit hat mein Vater immer eins nach dem anderen gemacht. Eine Richtigstellung kam nicht. Scheiß drauf, mir war eigentlich nie wichtig, was mein Vater so machte und dachte.“
„Ich habe Pirmin Petrowna gesagt, wenn er dich stehen lässt, dann sind wir geschiedene Leute. Eher geht ein Kamel durch ein Nade löhr, hat er geantwortet.“
Er schaute mich an.
„Du kennst doch die Bibelstelle, oder?“
„...als dass ein Reicher in den Himmel kommt.“
„Da tat er mir plötzlich leid. Ich habe ihn immer bewundert, ich dachte: So selbstlos, wie Pirmin hilft, könnte ich das nicht. Ich zweifelte sogar an meiner Berufswahl. Prinzipien müsste ich haben, so wie Pirmin, dachte ich früher immer.“
Er blieb stehen, setzte den Kanister ab, wischte sich mit dem Ä rmel über die Stirn. Es hatte aufgehört zu regnen. Auf halber Strecke zum Horizont sahen wir das Elselchen liegen.
„Heute Früh sah ich ihm an, wie schwer er es hat mit seinen Pri nzipien, die haben ihn in eine böse Zwickmühle gebracht. Er wollte ja auch nicht falsch Zeugnis geredet haben.“
„Ich denke, der hatte einfach Angst. Nicht um seine Schützli nge, sondern um seinen eigenen Hintern. Und er kann mich nicht leiden. Nicht weil ich reich bin, sondern ganz persönlich, das geht mir bei ihm
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