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Der Mann, der mein Leben zum Entgleisen brachte

Der Mann, der mein Leben zum Entgleisen brachte

Titel: Der Mann, der mein Leben zum Entgleisen brachte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Köhler
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überraschte. Ich tat, als würde ich mich fügen, wendete mich leicht nach links ab, um unbemerkt die Faust zu ballen und auszuholen. Ich zielte auf seinen Kopf, und da sah ich auch schon seine Faust auf mein Kinn zukommen.
    Seine Gesichtszüge hinter seiner Faust sind mir ins Gedäch tnis gebrannt. Er sah entschlossen aus. In dieser Zehntelsekunde des Schlages versuchte ich herauszufinden, ob da eine Maske gefallen war, ob das Gesicht, das mir die ganze Zeit väterliche Freundschaft vorgespielt hatte, plötzlich den Feind enthüllte, den Handlanger der verhassten Billardkugel. Zusammengekniffener Mund, verengte Augen – alles, was ich sah in diesem Gesicht, war Konzentration auf die auszuführende Aufgabe. Mehr weiß ich nicht von diesem Moment auf freier Straße.

Kapitel 13
     
    Ich bin nicht gefesselt, das ist der erste Gedanke bei meiner Rückkehr ins Bewusstsein. Stufe eins des Erwachens ist immer ein G esamteindruck der Situation, der etwas Telepathisches an sich hat: Man sieht eigentlich noch nichts und hört nur Fetzen, und doch hat man ein sicheres Gespür dafür, welche Gegebenheiten man vorfinden wird, werden erst alle Sinne wieder angesprungen sein. Ich bin inzwischen Vollprofi im Aufwachen aus k.o.-Zuständen, denke ich amüsiert. Das Kinn tut mir weh. Ich lasse mich auch nicht mehr narren von dem Schwindel meines Rückenmarks, von der Lüge, ich hätte noch eine rechte Hand, und greife statt dessen gleich mit links dorthin, wo der Schmerz sitzt, ertaste ihn mit den Fingerspitzen von der Mitte des linken Unterkiefers bis zur Mitte des Kinns. Und im Nacken tut es weh, Hölle noch mal, dieser Schmerz im Nacken ist neu: Jedes k.o. ist doch irgendwie anders.
    „Tut mir leid für den Kinnhaken“, hörte ich die Stimme des P astors. Keine Reaktion meines Körpers auf den Klang dieser Stimme, fiel mir auf – keine Gänsehaut, kein Abscheu. Er hatte sogar aufgehört, mir unterschwellig unsympathisch zu sein.
    „Aber ich konnte dich nicht anders vor der Dummheit bewahren, dem Pi rmin hinterher zu fahren.“
    Seine Stimme klang, als würde sie sich entfernen. Ein klebr iges Blinzeln, und ich hatte die Augen geöffnet. Ich sah dicht über mir die tapezierte Decke einer niedrigen Stube. Zu meinen Füßen ein monströses Holzkreuz an der Wand. Zwei Sessel, ein Nierentisch. Der Pastor kam mit zwei Wassergläsern und einer etikettlosen Flasche mit einer durchsichtigen Flüssigkeit aus einem Nebenraum zurück. Er stellte die Gläser auf den Nierentisch, zog den Korken von der Flasche und schenkte ein.
    „Und übrigens: Du wolltest mich zuerst schlagen.“
    Mir war nicht danach, darauf etwas zu erwidern oder mich gar zu entschuldigen. Für ihn war das Thema damit auch abgeschlossen, er verstöpselte die Flasche und stellte sie ab.
    „Wodka ist die beste Medizin für alles.“
    Er grinste sein augenverschlingendes und mundverdoppelndes Faltengrinsen und reichte mir eines der Gläser.
    „Wenn Lina auf mich gehört hätte: Wodka statt Hühnerbrühe - du wärst längst gesund. Ein Prosit, wie ihr bei euch sagt.“
    Ich rappelte mich in sitzende Haltung, bevor ich das Glas annahm, wollte noch das obligatorische Schwarz vor den Augen abwarten, das diesmal aber ausblieb. Wir stießen an, und ich nippte, während er das halbe Glas in seinen riesenhaften Mund schüttete. Es war ein guter, schwerer, gehaltvoller Wodka, bei aller Schärfe mild im Nachklang. Ich nahm gleich noch einen größeren Schluck.
    „Selbst von mir gebrannt in Keller. Macht hier übrigens j eder.“
    „Ist sehr gut“, erwiderte ich nur und stellte fest, bei aller Schw äche und bei allen Schmerzen, dass während meiner Ohnmacht meine Heilkraft angesprungen war. Das Fieber war gesunken. Ich nahm noch einen Schluck. Pastor Näb schaute mir ins Gesicht.
    „Ich verspreche, wir finden Weg, dich nach Hause zu scha ffen.“
     
    An diesem Tag rettete mir Pastor Justus Näb zum zweiten Mal das Leben, und das doppelt, wie ich erst später erfahren sollte: einmal an seinem Auto, denn wenn ich dem Konvoi hinterhergefahren wäre und es geschafft hätte, dass mich jemand mitnimmt, ich wäre an der Grenze erwischt und für immer eingesperrt worden; das andere Mal in seiner Stube mit dem ersten Glas seines göttlichen Wodkas. Ich war in meinem Leben als Frank Fercher dem Alkohol weder abgeneigt noch wäre ich in Gefahr gewesen, ihm zu verfallen, denn zu viel davon hätte meine sportlichen und abenteuerlichen Eskapaden beeinträchtigt.
    Hier nun, als hilflos

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