Der Mann, der nicht geboren wurde
einem halben Sandstrich.
»Nicht so richtig. Es scheinen mehrere zu sein. Ein Kult, eine
Schule, ich weià es nicht. Jedenfalls werde ich mit Cajin und meiner Tochter
die Stadt verlassen. In jeder Stunde kann hier etwas geschehen, das uns nur
noch tiefer verwickelt oder uns sogar unser Leben kostet.«
»Aber Eljazokad war nicht in Warchaim, und es hat ihn dennoch
erwischt.«
»Das ist richtig. Cajin und ich sind zu zweit, und wir gehen nicht
irgendwohin, sondern wir gehen in den Schmetterlingshain des Larnwaldes. Ich
kann Unterstützung von dort bekommen, schon unterwegs. Wir werden das
schaffen.«
»Ich könnte euch begleiten, dann wären wir sogar zu dritt â¦Â«
»Ja, und ich fände es schön, wenn du mitkämst, aber ich brauche dich
hier. Rodraeg bleibt sonst völlig ohne Kontakte nach drauÃen zurück. Ich
möchte, dass du ihm zuarbeitest, so gut es dir möglich ist, und ihm erzählst,
was geschehen ist und wo wir sind. Du gehörst nicht zum Mammut .
Das bedeutet, du kannst dich hier frei und ungefährdet bewegen und bekommst
auch eher eine Besuchserlaubnis bei Rodraeg als ich. Du musst ihm ausrichten,
was alles geschehen ist. Eljazokad. Estéron. Bestars Flucht. Würdest du das für
mich tun?«
»Für Bestar. Für Rodraeg. Für dich. Und wenn ich den Misthunden, die
das Ganze zu verantworten haben, damit ordentlich auf den FüÃen rumtreten kann,
soll mir das ein Fest sein!«
Jetzt lächelte Naenn doch ein wenig. »Ich danke dir. Und richte
Rodraeg bitte aus, dass ich einen Brief für ihn hinterlege, in meinem
Kopfkissen im Haus.«
»Müssen wir ihn nicht befreien? Was ist, wenn sie ihn hinrichten
oder mehrere Jahre lang nicht mehr rauslassen?«
»Ich werde einen Weg finden, aus dem Schmetterlingshain in Erfahrung
zu bringen, wie es in Warchaim aussieht. Möglicherweise schicke ich einen
Späher hierher, ich weià es noch nicht genau. Jedenfalls werde ich Rodraeg
befreien, falls er noch länger als einen Mond eingesperrt bleibt. Aber ehrlich
gesagt glaube ich, dass er schneller freikommen wird.«
»Weil er niemanden umgebracht hat.«
»Oder weil etwas Unvorhergesehenes passiert.« Naenn stand auf und
drückte die stets auf Abstand bedachte und nun ein wenig überrumpelte Tjarka an
sich. »Mögen die Götter über dich wachen«, flüsterte Naenn noch, mit einer
Stimme, die klang, als befände sie sich nur in Tjarkas Kopf â dann war sie
schon zur Tür hinaus.
Tjarka blieb noch stehen, in der Pantomime einer Umarmung begriffen,
bis einer der Würfler etwas Zotiges sagte und derbe lachte und Tjarka sich
finstergesichtig wieder hinter ihren Hellbierkrug setzte und rekapitulierte,
was sie Rodraeg alles mitzuteilen hatte.
Cajin war nur noch ein Schatten
seiner selbst. Wie ein Hündchen trippelte er hinter Naenn her, während sie ein
paar Sachen zusammenpackte.
»Hast du noch etwas von der Farbe, mit
der du den Mammutkopf an die Tür gepinselt hast?«, fragte ihn das
Schmetterlingsmädchen.
»Ja, im Keller.«
»Gut. Ich möchte, dass du das Mammut durchstreichst. Mit eigener
Hand. Deutlich sichtbar. Mach es ungültig. Es soll vorbei sein, für alle
sichtbar. Vielleicht nimmt der Spuk dann ein Ende.«
»Aber ⦠aber ⦠Rodraeg?«
»Rodraeg sitzt im Gefängnis. Er kann nichts mehr entscheiden. Und
Riban ist weit weg von hier. Ich entscheide jetzt. Dieses Symbol hat schon zu
viele Leben gekostet, das ist es einfach nicht wert.«
Nickend verschwand Cajin im Keller. Die Farbe in der kleinen, mit
Wachspapier ausgeschlagenen Holzbüchse war hart geworden und musste erst mit
Wasser und durch Rühren wieder gelöst werden.
Als er dann auÃen vor der Tür stand und die Mammutsilhouette
anstarrte, brauste es in seinem Kopf wie in einem Schneesturm.
Er konnte das Mammut ausmalen zu einem unförmigen Fleck.
Es übermalen mit etwas anderem. Einem anderen, harmloseren Tier.
Oder einer Blume. Einem Herz.
Er konnte ein »X« darüberziehen, sodass es aussah, als sei das
Mammut von vier Jägern mit Speeren durchbohrt worden.
Mehrere Querstriche, als stünde es in schmerzhaftem Regen oder
hinter angeschrägten Gittern.
Er konnte auch aufbegehren und es durchstreichen, indem er einen
nicht ganz geschlossenen Kreis darübermalte.
Nein , sagte er sich. Ich
werde es anders machen. Ich werde ein groÃes,
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