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Der Mann, der nicht geboren wurde

Der Mann, der nicht geboren wurde

Titel: Der Mann, der nicht geboren wurde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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schwarzes Rechteck über das
Mammut malen, wie ein Fenster, ein Fenster in ewige Nacht. Und wenn wir dann
eines Tages wieder zurückkehren, kann ich in dieses schwarze Fenster ein neues
Mammut zeichnen, eins in weißer Farbe. Leuchtend im Dunkel und erhaben über
jede Art von Bedrohung.
    So malte er das große schwarze Rechteck.
    Währenddessen saß Naenn in Rodraegs fensterlosem Schreibzimmer an
seinem Schreibtisch und schrieb im Licht einer Öllampe eine Art von
Abschiedsbrief. Den versteckte sie dann oben in ihrem Zimmer in der Füllung
ihres Kopfkissens.
    Ihr Kind band Naenn sich in einer warmen Decke an den Leib. Nemialé
war sehr ruhig und geduldig und quengelte nur wenig.
    Die junge Mutter durchmaß das Haus des Mammuts .
Ein letzter Blick auf den verwüsteten Garten, eine letzte Berührung der
fruchtbaren Muttererde. Wie eine übergewichtige Krähe hockte ein Wachtposten
wieder im Nachbarsbaum. Beim Verlassen des Hauses durch die Vordertür winkte
Naenn dem zweiten Wachtposten zu. Der machte sich geflissentlich eine Notiz,
hinderte sie aber nicht am Weggehen. Eine Stunde später waren Naenn, Nemialé
und der nun seines Hauses und seiner Aufgabe beraubte Cajin Cajumery mit ihren
wenigen Habseligkeiten schon ein gutes Stück auf der Straße, die erst Richtung
Aldava führte und später nach Nordwesten, nach Kuellen und zum Larnwald
abzweigen würde.
    Tjarka erhielt eine
Besuchserlaubnis bei Rodraeg, weil sie ihm ein paar Kekse vom Marktplatz
mitbrachte. Da die Garde an diesem Tag ohne Führung war, vergaß man sogar, das
Gespräch zu überwachen.
    Â»Das Mammut hat Warchaim verlassen«, begann Tjarka mit düsterer Miene.
Dann erzählte sie Rodraeg von den Schrecken der letzten Nacht. Von dem
Freudenmädchen Scela. Von dem Gardisten namens Adsar. Und davon, dass Bestar
diesen Adsar, Estéron und – wie Tjarka auf dem Marktplatz in Erfahrung gebracht
hatte – auch einen Gaukler namens Lundis umgebracht haben soll und dann nach
mehreren Zusammenstößen mit berittenen Gardisten als Pferdedieb aus der Stadt
geflohen war. Weiterhin von Eljazokads Hand und Naenns Meinung, der Magier sei
tot. Weiterhin von der Ermordung des Stadtgardekommandanten, von der auch
Rodraeg schon durch wütende Wächter etwas mitbekommen hatte, weil er ja
schließlich wegen eines Mordversuchs an Endreasis eingesperrt war. Abschließend
von Naenns und Cajins taktischem Rückzug mit dem Kind in Richtung Larnwald.
»Sie ist überzeugt, dass du bald freikommst«, sagte Tjarka heiser. »Wenn nicht,
wird sie dich hier raushauen, wahrscheinlich mit einer Armee von Schmetterlingsmenschen,
die alle Rache nehmen wollen für Estéron.« Das Letzte sagte sie nur, um Rodraeg
aufzumuntern, aber es klang in ihrer beider Ohren nicht sehr glaubwürdig.
    Â»Was für ein Wahnsinn«, konnte Rodraeg nur immer wieder sagen. »Was
für ein Wahnsinn. Was für ein sinnloser Verlust. Das Mammutist
nun tatsächlich, von den Jägern verfolgt, in den schneeumtosten Abgrund
gestürzt.«
    Tjarka, die Rodraegs Erinnerung an seinen Kuellener Mammuttraum
nicht teilen konnte, versuchte noch einmal, ihn ein wenig aufzubauen. »Aber der
Kopf des Mammuts ist immer noch da. Bestar wird sich
auch durchschlagen. In die Klippenwälder wahrscheinlich.«
    Â»Er wird eher zu den Riesen gehen. Dort wird er gebraucht. Wir
sollten für ihn beten, und für Naenn, Nemialé und Cajin ebenfalls. Es gibt
keinerlei Sicherheit, dass irgendeiner dieser vier wohlbehalten sein Ziel
erreicht. Der Kontinent hat sich für uns alle in einen gewaltigen
Spießrutenlauf verwandelt. Ich würde dich gerne freigeben, Tjarka, aber du bist
nun meine einzige Verbindung nach draußen.«
    Â»Noch reicht mein Geld, um im Würfelbecher zu
bleiben. Mach dir so lange keine Sorgen.«
    In der Nacht lag Rodraeg wach
und wälzte sich auf der Pritsche hin und her.
    Die Zelle roch feucht nach
Kellergewölbe und nassem Stroh. Nicht weit entfernt war ein Volltrunkenenkäfig
eingelassen, von dort wehte ab und zu eine widerliche Zugluft, die
abgestandenes Erbrochenes in ihrem Atem führte.
    Seltsamerweise war die Zelle nicht kleiner als Rodraegs Zimmer im Haus des Mammuts . Sie besaß sogar eine Art Fenster, einen
aufwärtsführenden Lichtschacht, durch den allenfalls eine hungrige Schlange
sich hätte quetschen können. Im Haus des Mammuts hatte
Rodraeg nie

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