Der Mann, der nicht geboren wurde
Glück hatten, starben sie dann
gleichzeitig.
Das war idiotisch, aber dennoch schlief Rodraeg mit einem Lächeln
ein.
Am folgenden Morgen tanzte
Warchaim sie alle aus dem Schlaf. DrauÃen schmetterten Schalmeien und
Kuhhörner. Golden gekleidete Mädchen rannten kichernd durch die StraÃen und
streuten buntes Laub, mit welken Blättern verzierte Jünglinge stellten ihnen
spielerisch-grob nach, es wurde musiziert, gesungen, getrunken, gelacht, viel
Selbstgebackenes angeboten und verzehrt. Im Bachmutempel wurden zu Ehren der
Göttin Opfergaben dargereicht und Segnungen ausgesprochen. Erdäpfelfeuer gab es
dieses Jahr wegen des Brandes vor wenigen Tagen nicht mehr so zahlreich wie
sonst, aber auf groÃen, öffentlichen Plätzen versammelten sich dennoch die
Warchaimer um steinbegrenzte Feuer herum, tanzten zu Sackpfeifen Ringelreihen
und streuten Laub in die gierig leckenden Flammen.
Es war das erste Götterfest, das
Rodraegin
Warchaim erlebte. Zum Arispfest im Frühling waren sie in einem kleinen Dorf auf
dem Weg nach Terrek gewesen, Bestar hatte dort Erbsbier getrunken und Rodraeg
still ein Gebet zur Frühlingsgottheit ersonnen. Das Lunfest im Sonnenmond hatte
er völlig verpasst, denn an diesem Tag war das Mammut weit entfernt von jeglicher Sonne tiefer
in die Höhle des Alten Königs vorgedrungen. Nun, zum Bachmufest, wurden sie von einem
unbekannten Feind belagert, aber diesmal beschlossen sie, das Haus zu viert zu
verlassen und sich den Trubel und Jubel wenigstens für ein Stündchen
anzuschauen.
Selbst in den kleineren Gassen herrschte Gedrängel. Cajin strahlte
und begrüÃte Hunderte von Gesichtern, die er alle mit Namen kannte. Naenn war
eher angespannt, sie versuchte, im Gedrängel nicht geschubst zu werden, und
hielt sich die Ohren zu, wenn eine Tröte in ihrer Nähe losging. Estéron
quittierte das Treiben der Menschen mit dem gütigen Lächeln eines Lehrers, der
tobende Kleinkinder zu betreuen hat. Rodraeg dagegen staunte, wie fröhlich und
natürlich das Fest ablief. Die Bürger der Stadt schienen von sich aus viel dazu
beizutragen. In Kuellen, obwohl ja nur wenige Tagesreisen von Warchaim
entfernt, waren die vier jährlichen Götterfeste immer ganz anders aufgenommen
worden â als von oben herab verordnete, unliebsame Störung des öffentlichen
Betriebes und der Ordnung. Rodraeg hatte im Rathaus immer alle Hände voll damit
zu tun gehabt, die städtischen Unkosten dieser Feste möglichst niedrig zu
halten. Die Bürger jedoch hatten aus sich selbst heraus kaum mitgestaltet.
Allen diesbezüglichen Komitees war aufgrund mangelnder Beteiligung ein kurzes
und klägliches Dasein beschieden gewesen. Die Sternentage waren beliebt, weil
sie die Dauer des Jahres und des Lebens verlängerten; die Götterfeste jedoch
waren unbeliebt, weil sie Zeit kosteten, Geld und das Vortäuschen einer
Religiosität, die in Kuellen schon längst nicht mehr gegeben war.
In Warchaim war das anders. Bachmupriester mit ihren goldenen Helmen
und gelben Roben waren überall zu sehen, scherzend und gleichzeitig ordnend. Es
waren viel mehr, als man in Warchaim erwartet hätte. Offensichtlich waren
einige aus kleineren Klostern und Tempeln eigens in diese schöne Stadt
gekommen, die als einzige auÃer der Hauptstadt noch einen florierenden
Tempelbezirk für alle zehn Gottheiten besaÃ.
Vor dem Rathaus war ein golddurchwirkter, blätterstiebender Tanz im
Gange. Eine Musikantengruppe spielte hier lautstark auf, Jongleure und
Feuerschlucker zeigten ihre Kunst. Letztere wehten ihren heiÃen Atem über die
Köpfe der Menge hin. Inmitten des Getümmels, zwei hübsche junge Frauen
untergehakt, wild auf und ab springend und sich drehend beim Tanzen und dabei
ausdauernd mit vollem Munde lachend: Iddan Tommsen, Warchaims rundlicher
Bürgermeister.
Rodraeg klatschte den verzwickten Takt und schüttelte den Kopf.
»Schade, dass Eljazokad und Bestar das nicht sehen können. Das wäre was für
beide, aus unterschiedlichen Gründen.«
»Die beiden sind jetzt überfällig«, sagte Naenn. »Laut dem Zeitplan,
den wir gemeinsam ausgearbeitet haben, wollten sie spätestens am 13. Blättermond wieder zurück sein. Das war vorgestern.«
Rodraeg wollte sich seine gute Laune bewahren, aber sie entglitt ihm
in Teilen, als wäre sie spröde und gleichzeitig schlüpfrig geworden. »Bis
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