Der Mann, der nicht geboren wurde
Tür
lieà nicht lange auf sich warten. Diesmal war es die Hauptfrau Larza Durbas mit
drei weiteren Soldaten. So langsam war jeder Gardist Warchaims schon einmal
hier gewesen.
»Sind Eure Mitbewohner schon
aufgetaucht?«
Rodraeg hatte die Tür selbst geöffnet. »Noch nicht. Sobald sie
eintreffen, werde ich sie zu Euch schicken, wie versprochen.«
»Das zieht sich aber hin.«
»Ich will Euch nichts vormachen: Sie sind überfällig. Wir machen uns
schon groÃe Sorgen. Möglicherweise sind sie mit demjenigen aneinandergeraten,
der uns diese Morde anhängen will.«
»Morde? Woher wisst Ihr denn von mehreren Morden?«
»Dilljen Kohn war vorhin bei uns und hat uns unterrichtet.«
»So, so. Nun, âºanhängenâ¹ ist ein nettes Wort«, schnaubte die
Hauptfrau. »Ich möchte gerne Euer Schmetterlingsmädchen mitnehmen, um mich
davon zu überzeugen, wie viel hier âºangehängtâ¹ wurde und wie viel tatbildlich
âºverübtâ¹.«
»Das ist sicher ein Scherz?«
»Mitnichten. Kann das Mädchen laufen, oder soll ich eine Sänfte
organisieren?«
»Das mit der Sänfte ist ebenfalls kein Scherz?«
»Nein. Wenn es der Fortbewegung dient, soll das nicht das Problem
sein.«
Rodraeg schaute nach hinten zu Naenn, die kreidebleich geworden war.
»Eine ⦠Sänfte wäre eine gute Idee, Hauptfrau. Darf ich Naenn begleiten?«
»Unbewaffnet steht Euch das natürlich frei.«
Rodraeg stand ein wenig verloren neben der einen halben Kopf
gröÃeren Gardistin, während einer der Uniformierten eine Sänfte samt zweier
Träger herbeischaffte und Naenn sich ausgehwürdig ankleidete. Die Hauptfrau
konnte und wollte es sich nicht verkneifen, missbilligend den Kopf zu
schütteln, als die zart gebaute Hochschwangere mit furchtsamem Rehgesicht in die
Sänfte stieg.
Dann ging es Richtung Südstadt, aber erneut nicht auf der groÃen
HauptstraÃe, sondern ein Stück weiter östlich über den Marktplatz, an der
Westmauer des Tempelbezirks entlang- und über die nach Furbus hinausführende
StraÃe bis in die südlichste Ansiedlung Warchaims, niedrige Einfamilienhäuser,
umfasst von gepflegten Gärtchen. Rodraeg hielt mehr oder weniger während des
gesamten Weges Naenns Hand, die klamm war wie aus einem kalten Tümpel gezogen.
Weshalb war das Schmetterlingsmädchen, das Rodraeg auf gemeinsamen Reisen
durchaus als beherzt und kämpferisch kennengelernt hatte, bloà immer so
schrecklich mitgenommen von diesen Festnahmen? Sie alle hatten doch nichts zu
befürchten, da sie mit den Morden nicht das Geringste zu tun hatten. Aber möglicherweise
konnte Naenn allein schon die Verdächtigungen und Missbilligungen in den
Gedanken der Gardisten körperlich spüren und fror deswegen wie in einem
Wintersturm der Ungerechtigkeit.
Sie erreichten das Haus, das offensichtlich dem ermordeten Getreidespeicherbesitzer
Eimenhard gehört hatte. Die Garde hatte Absperrungen vorgenommen, um
Schaulustige fernzuhalten. Mehr als zehn Gardisten waren es insgesamt, und der
eine oder andere kam Rodraeg mittlerweile schon bekannt vor. Naenn wurde von
den beiden Trägern, die die Sänfte behutsam absetzten, galant aus dem Sitz
gezogen und gestützt.
»Hierher bitte«, winkte die Hauptfrau barsch und lenkte Rodraeg und
Naenn zu einem Gemüsebeet im Garten. In der weichen Erde waren FuÃspuren zu
sehen. Kleine, nackte FüÃe.
»Das sind die Spuren einer Frau«, erläuterte die Hauptfrau. »Sie
führen in Richtung auf das Fenster, durch die auch der Mörder ins Haus
eingedrungen ist. Zeitlich müssen sie etwa zur Tatstunde entstanden sein. Das
an der Spurentiefe ablesbare Körpergewicht könnte in etwa mit dem einer
schwangeren Schmetterlingsfrau übereinstimmen. Wenn Ihr also so freundlich
wärt, mir einen FuÃabdruck danebenzusetzen, wäre ich Euch sehr verbunden.«
»Glaubt Ihr allen Ernstes, dass Naenn in ihrem Zustand barfuà hier
herumschleicht und durch Fenster kriecht, um jemandem eine Nadel durch den Kopf
zu rammen?«, fragte Rodraeg.
»Ich brauche gar nichts zu glauben. Den FuÃabdruck bitte.«
Naenn schlotterte nun wieder am ganzen Körper. Rodraeg vermeinte
sogar ihre Zähne klappern zu hören. Es zerriss ihm schier das Herz, sie so zu
sehen. Er hatte sie schon mehrmals kämpfen sehen, gegen Ryot Melrons Kumpane
und gegen
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