Der Mann, der nicht geboren wurde
die Nadel auf Rodraegs
Kopfkissen platziert. Was, wenn der Einfluss weiterhin bestand?
»Was Ihr sagt, ist richtig, Kommandant. Zu meinem eigenen Schutz
müsst Ihr mich festnehmen. Ich leiste keinerlei Gegenwehr.«
»Gut. Das kann beizeiten zu Euren Gunsten ausgelegt werden.« Mit dem
Fuà trat Endreasis gegen einen Gong, der neben dem Bett stand. Das Geräusch war
bei Weitem nicht so markerschütternd wie das »Ping«, obwohl es in Wirklichkeit
bestimmt viel lauter war.
Rodraeg dachte darüber nach, dass ihm nun nur noch ein paar
Sandstrichbruchteile blieben, bis Gardisten in das Zimmer fluteten, um ihn zu
binden und in einen modrigen Kerker zu schaffen. Doch es entsprach überhaupt
nicht seiner Natur, sich durch einen tollkühnen Sprung durchs Fenster oder eine
Gewaltaktion gegenüber Endreasis seiner Verantwortung zu entziehen. Rodraeg war
alt genug, um zu wissen, wann eine Situation aussichtslos war. Er blieb mit
erhobenen Händen stehen und wartete ab. Es dauerte auch gar nicht lange. Zwei,
dann vier Gardisten erschienen und nahmen ihn ruppig in Gewahrsam. Endreasis
schlug vor, Rodraegs Hände auf dem Rücken zu fesseln, aber nur »zu seinem
eigenen Schutz«. So wurde es gemacht. Die schwarze Nadel wurde aufgehoben und
betrachtet.
Endreasis legte seinen unbequemen Halsschutz aus Metall ab. Rodraeg
kam das geradezu fahrlässig vor. Jeder Gardist, jeder Vertraute von Endreasis
konnte ein ferngelenkter Mörder sein. Aber andererseits wäre es dumm von DMDNGW gewesen, Rodraeg zu entlasten, indem nun jemand
anders vor Zeugen diesen Mord beging. Und DMDNGW war
nicht dumm. Vielleicht war dieses Wissen um die strategische Raffinesse von DMDNGW sogar der einzige Anhaltspunkt, um seine Aktionen
vorauszuahnen und seine Pläne zu durchkreuzen. Rodraeg würde in einer
Gefängniszelle noch viel mehr als bislang Gelegenheit zum Nachdenken bekommen.
»Wann werden meine Leute darüber informiert, dass ich verhaftet
wurde?«, fragte er den Kommandanten, als er hinausgeführt wurde.
»Noch nicht sofort. Ich will erst sehen, was sie unternehmen.«
»Seid bitte nicht zu streng mit Bestar Meckin, falls er wütend wird.
Er weiÃ, dass ich unschuldig bin. Ach, eine Sache fällt mir noch ein: Als ich
im Traum das Haus verlieÃ, sah der Hinterhofwachtposten alles andere als gesund
aus. Ich fürchte, er könnte von DMDNGW oder einem
seiner Helfer überwältigt worden sein.«
»Oder von einem Eurer Leute. Einem von auÃerhalb des Hauses.«
Für einen Augenblick sah Rodraeg eine Vision von der Welt, wie
Gauden Endreasis sie sich vorstellen musste: Tjarka Winnfess oder Riban Leribin
oder Ilde Hagelfels oder Gerimmir oder vielleicht auch ein Riese, mit einer
Würgeschlinge in der Hand, wie er sich von hinten an den Wachhabenden im
Apfelbaum anschlich, um ihn zu erdrosseln, damit Rodraeg mit mordlüsternem
Grinsen im Lendenschurz durch die Nacht huschen konnte, um einen weiteren
teuflischen Nadelmord zu begehen, bis schlieÃlich und endlich die Stadt voller
Leichen lag und das Mammut im Rathaus wüste Orgien
feiern konnte. DMDNGW : Das Mammut
droht noch ganz Warchaim.
Drei Mann führten ihn zum
Garnisonsgebäude, das nur zwei QuerstraÃen entfernt war. Dort ging es über
einen Hintereingang hinab in ein Verlies, und von dort aus in eine Einzelzelle,
die tatsächlich rostrot schimmerte, weil das Gitter rostüberblättert und die
wenigen Fackeln im Gang rötlich waren.
Man nahm ihm die Fesseln ab und
reichte ihm eine Decke, damit er sich in dem kühlen, feuchten Steinzimmer
einrollen und trotz seiner Nacktheit warm halten konnte.
Von irgendwo im Gang tönte Gesang: die tiefe, markante Stimme von
Cruath Airoc Arevaun. Ansonsten schien das Warchaimer Gefängnis ziemlich leer
zu sein.
Rodraeg lieà sich auf die schimmlige Pritsche fallen. Die Luft roch
nach Salz und Not.
War das Mammut schon gefallen?
Oder, noch schlimmer: Was tat DMDNGW gerade
jetzt, in diesem Moment, Naenn und ihrem Kind oder Bestar, Estéron, Cajin oder
Tjarka an?
Wo war Eljazokad? Was war mit ihm geschehen?
Rodraeg musste bitter lächeln, als ihm bei seiner Bestandsaufnahme
auffiel, dass Hellas Borgondi ein paar Städte weiter in einer ebensolchen Zelle
saà wie er.
12
Flucht
Das Haus
des Mammuts wurde am folgenden Morgen, dem 25.Blättermond, durch eine junge Gardistin von dem
Ungeheuerlichen in Kenntnis gesetzt: Rodraeg
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