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Der Mann der nicht zu hängen war

Der Mann der nicht zu hängen war

Titel: Der Mann der nicht zu hängen war Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Bellemare
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sicher, wir haben es mit einem Haarfetischisten zu tun!« Dieser Sachverhalt, der von vornherein nicht unbedingt ersichtlich war, wird offenkundig, als man die verschwundenen Gegenstände miteinander vergleicht: Alle haben Haare. — Der Dieb stiehlt nur Gegenstände mit Haaren oder Borsten!
    Doch was zum Teufel kann er bloß damit anfangen? Hinter diesem Fragezeichen verbirgt sich sicher die Lösung des ganzen Rätsels. Eines ist schon klar: Der Schuldige hat nicht aus purem Zufall diese Dinge an sich genommen. Doch der Fall wird damit auch schwieriger. Denn sofern es sich um eine Manie handelt, wird der Kleptomane ganz sicher seine Trophäen so versteckt haben, daß sie nie wieder auftauchen. Außerdem muß er geistesgestört sein — oder besessen! Bestimmt wird er sich nicht verraten. —
    Sir Yonnel aber gibt sich nicht so schnell geschlagen. Er ermittelt weiter, erkundigt sich hier und da, forscht immer und überall nach. Und so erfährt er, daß seit Wochen schon auch andere Dinge auf ebenso mysteriöse Weise verschwunden sind; die Kette des alten Brunnens, eine Bank im Waschkeller, die Kurbel des Sonnendachs auf der Terrasse, zwei alte Fahrradräder, zwei kleinere Räder des Puppenwagens von Großmutter Mary— kurzum eine ganze Reihe bunt zusammengewürfelter Dinge, die alle nichts mit Haaren zu tun haben.
    Jetzt verwandelt sich Sir Yonnel in Sherlock Holmes. Er inspiziert selbst seinen gesamten Besitz, einen Raum nach dem anderen, einen Schrank nach dem anderen. Vom Keller bis zum Dachboden wird das Herrenhaus durchkämmt, ohne daß sich auch nur eines der fehlenden Stücke wiederfände.
    George, der älteste Sohn, macht sich zum Sprecher aller Betroffenen und fragt: »Was nun?«
    Sir Yonnel hebt seine stahlblauen Augen von der Teetasse aus chinesischem Porzellan: »Was nun? Wenn ich es wüßte!«
    Das Familienoberhaupt muß gestehen, im Haupthaus nichts, aber auch gar nichts gefunden zu haben. Jetzt wird er eben die Nebengebäude durchsuchen. Als der alte Mann das Speisezimmer verläßt, merkt er, wie sich eine kleine Hand in die seine stiehlt, und eine zarte Stimme — ein wenig ängstlich und schüchtern — bittet ihn: »Großvater, darf ich dir dabei helfen?«
    Es ist Thomas, sieben Jahre alt, der jüngste Sproß des Hauses. Nun, auch als Detektiv in voller Aktion ist man primär — ein Großvater. Natürlich darf ihm sein Enkel »helfen«. Und während der Großvater die Remise mit den landwirtschaftlichen Geräten durchsucht, hält sich der kleine Thomas im Pferdestall auf.
    Gegen Mittag tauschen die beiden Mac Redfords ihre »Erfolge« aus:
    »Also?«
    »Nichts! Und du?«
    »Auch nichts!«
    Ein Reinfall auf der ganzen Linie. Dementsprechend verläuft auch das Lunch in katastrophaler Stimmung. Sir Yonnel — innerhalb der beiden letzten Tage sichtlich gealtert — rührt kaum etwas an. Nachmittags liegt er erschöpft in seinem Lehnstuhl, und Mary macht sich Sorgen, denn Yonnel bekommt sogar Fieber.
    Zum Fünf-Uhr-Tee im Salon ist die ganze Familie versammelt und zutiefst beunruhigt über den Gesundheitszustand des alten Mannes, der sich die Geschichte so sehr zu Herzen genommen hat. Als er versprach, den Dieb bis zum Sonntag zu schnappen, hat er seine Ehre ins Spiel gebracht. Und die Ehre der Mac Redfords ist nun mal von höchster Bedeutung für ihn. Von viel zu hoher Bedeutung. In seinem Alter kann so etwas gefährlich werden. Sein altes Herz könnte die vermeintliche Schmach womöglich nicht mehr ertragen.
    Auch wenn jeder am Tisch schweigt, so denken sie alle dasselbe... Da erklärt seine Tochter — die Mutter des kleinen Thomas — auf einmal laut und deutlich: »Die Bärenfellmütze von Waterloo ist ein Symbol für ihn! Die Lage ist ernst. Wenn er sie bis Sonntag nicht wiedergefunden hat, traue ich ihm zu — daß er daran stirbt!«
    Da steht auf einmal der kleine Thomas auf und verläßt den Tisch, ohne um Erlaubnis zu bitten. Aber heute hat niemand etwas dagegen. Er geht zum Kamin und scheint zu überlegen. Nach einer Weile murmelt er: »Ich will nicht, daß Großvater stirbt! Nein, er soll nicht sterben!«
    Dann rennt er hinaus, wahrscheinlich, damit die Großen nicht sehen, wie er weint. Ein Junge weint nicht! Aber er denkt nicht daran, lange zu weinen, sondern läuft schnurstracks in das Arbeitszimmer, wo der Ahnherr über sein Schicksal brütet: »Komm, Großvater, komm! Ich weiß, wo die Bürsten sind! Komm doch endlich!«
    Der Alte sieht erstaunt auf die kleine Hand, die ihn

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