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Der Mann der nicht zu hängen war

Der Mann der nicht zu hängen war

Titel: Der Mann der nicht zu hängen war Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Bellemare
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auffordert, sich zu erheben: »Komm doch, komm mit mir, ich will nicht, daß du stirbst!«
    Sir Yonnel Mac Redford versucht nicht einmal zu begreifen, was mit seinem Enkel los ist. Er steht auf und folgt dem Kind. Hand in Hand gehen sie aus dem Haus — zum Pferdestall.
    »Du hast gewußt, wo die Bürsten sind und hast mir nichts davon erzählt? Du selber hast den Pferdestall durchsucht. Warum hast du nichts gesagt? Warum denn?!«
    »Weil... weil die Katzen sie brauchen.«
    »Die Katzen? Was haben die Katzen damit zu tun? Was erzählst du da für Geschichten?«
    »Du wirst es gleich sehen.«
    Und in der Tat, Sir Yonnel sieht, und was er sieht, liegt jenseits jeglicher Vorstellungskraft. Er muß sich anlehnen. einem Schwächeanfall nahe. Er steht vor einer unglaublichen Maschine: zentral ein circa zwei Meter langer Zylinder aus Maschendraht von vielleicht einem Meter Durchmesser. Außen eine kompliziert konstruierte Mechanik mit zwei Fahrradrädern an einem Ende, verbunden mit zwei kleineren Rädern, die an den Deckenbalken befestigt sind. Innen ist dieser Drahtzylinder mit diversen Bürsten, Besen, Tischbürsten und haarigen Mützen ausgestattet — und in der Längsachse befindet sich eine Bank. Wenn man die zum Antrieb des Gerätes angebrachte Sonnendachkurbel dreht, dann rotiert der Zylinder langsam um diese Bank. Die Maschine ist so außergewöhnlich, so genial ausgedacht und gebaut, daß der alte Redford die eigentliche Ursache seiner Nachforschungen vergißt.
    »Ja... aber... was ist denn das?«
    Thomas’ Augen glänzen vor Stolz. »Eine Katzenstreichelmaschine!«
    »Eine was?«
    »Das siehst du doch, eine Katzenstreichelmaschine!«
    »Ach so, klar! Eine Katzenstreichel... Maschine... ja?«
    »Genau. Weißt du, vor ein paar Wochen war ich mit Großmutter bei Mrs. Beckett. Die nimmt doch alle entlaufenen Katzen der Gegend bei sich auf. Und Mrs. Beckett hat gesagt: >Was den armen Katzen am meisten fehlt, ist nicht das Futter. Sie müssen viel gestreichelt werden!< Naja, und da habe ich gedacht, wenn man sie hier vorne auf die Bank hinstellt und hineinschickt... dann würden sie genug gestreichelt, wenn sie da durchgehen und am anderen Ende herauskommen. Es ist doch eine gute Idee, oder?«
    Das alte Herz von Sir Yonnel läuft über vor Zärtlichkeit. Sein Zorn und seine Erschöpfung sind augenblicklich verschwunden. Während sein Enkel die Kurbel dreht und die diversen Bürsten und Haare über die Bank streichen, erfüllt ihn ein unbändiger Stolz: Welch ein Trost in seinem Alter, einen solchen Erfinder unter seinen Nachkommen zu haben!
    Bevor Großvater und Enkel ins Herrenhaus zurückkehren, bittet er lediglich darum, die Bärenfellmütze von Reginald Mac Redford und die silberne elisabethanische Tischbürste mitnehmen zu dürfen: »Das verstehst du doch, mein Junge, oder? Weißt du, ich habe doch geschworen, daß sie Sonntag wieder an ihrem Platz sind! Aber du kannst beruhigt sein, ich besorge dir andere Bürsten dafür. Ein dickes Ehrenwort unter Männern!«
    Am folgenden Tag, als Sir Yonnel das Speisezimmer betritt, wechselt er verständnisvolle Blicke mit Thomas. Sie sind Komplizen geworden. Er hat sogar versprochen, ihm jeden Tag dabei zu helfen, die Katzenstreichelmaschine zu drehen — falls es den Katzen gefällt. Und noch etwas hat er ihm versprochen: daß er es einrichten wird, nicht so bald zu sterben.
     

Ein Schnippchen schlagen
     
    A n jedem ersten Sonntag im Monat — und dies seit vielen Jahren — kommt die alte Mrs. Ollie Cartwright angetrippelt zu ihrem Bruder — dem alten Somerset Cartwright. Er ist nur zwei Jahre jünger als seine Schwester, dürfte also um die 75 sein.
    »Somerset, du wirst doch bald siebzig, wenn ich mich nicht irre?«
    »Ollie, bitte! Wir sind doch unter uns. Also warum mußt du dich unbedingt fünf Jahre jünger machen! Ich bin 75, und du bist 77. Das wissen wir nun schon recht lange. Oder? Also, was verschafft mir die Ehre deines Besuches?«
    »Was soll das nun schon wieder! Ich besuche dich alle vier Wochen — seit einer Ewigkeit schon. Ist es da nicht normal, daß ich mir über deinen Gesundheitszustand Gedanken mache?«
    »Du meinst wohl eher über meine Erbschaft?«
    »Somerset, du bist ein Ungeheuer ohne jegliches Gefühl. Manchmal frage ich mich wirklich, warum ich mir mit dir so viel Mühe gebe!«
    Die »Mühe«, wie sich Ollie auszudrücken beliebt, ist eine kleine Tüte Kirschen und ein halber Kuchen im Sommer. Im Winter ist es eine Tüte Lindenblütentee

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