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Der Mann der nicht zu hängen war

Der Mann der nicht zu hängen war

Titel: Der Mann der nicht zu hängen war Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Bellemare
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und ebenfalls ein halber Kuchen. Bruder und Schwester hassen sich von Herzen. Somerset ist der Meinung, daß seine Schwester eine ausgedorrte alte Jungfer ist — geizig und noch dazu so unrettbar häßlich, daß jeder eventuelle Heiratskandidat schon vor fünfzig Jahren gleich das Weite suchte. Was Ollie von ihrem Bruder hält? Nun, zuerst einmal ist sie schrecklich neidisch auf ihn, weil er in der Familie immer schon der Liebling von allen gewesen war. Er hatte das reinste Abenteurerleben geführt — und zu alledem wurde er vorn altehrwürdigen Familienoberhaupt auch noch als Universalerbe eingesetzt. Sie mußte sich mit einer kleinen Wohnung in London zufriedengeben, während er in dem alten Herrenhaus ganz alleine lebte wie ein einsamer Wolf. »Somerset, warum muß ich es mir eigentlich gefallen lassen, in einer winzigen Wohnung zu leben, während du hier siebzehn Zimmer hast, dazu noch zwei Salons und eine Unmenge von Badezimmern? Vater und Mutter dachten, daß du heiraten würdest. Deshalb hast du das Schlößchen bekommen, aber du hast nicht geheiratet. Das ist einfach ungerecht!«
    »Du hast auch nicht geheiratet, und ungerecht ist es auf keinen Fall. Es ist ganz einfach logisch... Übrigens, fährst du wieder mit dem Fünf-Uhr Zug?«
    Diese Manie seiner Schwester, alle Rezepte seiner Ärzte ausfindig machen zu wollen, als warte sie nur auf seinen Tod wie ein Geier im Unterrock. Was erwartet sie denn eigentlich noch in ihrem Alter? Will sie vielleicht sein großes Vermögen, die Zinsen genießen, die sich allmählich angehäuft haben in einem langen Leben, das nur aus Arbeit bestand? Vielleicht möchte sie auf ihre alten Tage vor den Damen ihres Kaffeekränzchens die Schloßherrin spielen.
    Dabei weiß Somerset Cartwright, daß er nicht mehr lange zu leben hat. Eine dumme Herzgeschichte. Sein Herz ist eben schneller müde geworden als er selbst.
    Und dieses Herz hat auch schon eine Menge erleben müssen. Dennoch — am 21. Juli 1960 ist er es, der seine Schwester zu Grabe trägt. Eine böse Virusgrippe hat sie besiegt.
    Einige Tage später fährt er in Ollies Wohnung nach London. Er will sich um ihre Papiere und um ihre Sachen kümmern.
    Jetzt hat die Familie Cartwright nur noch einen lebenden Erben: ihn. Eine vertrocknete Familie..., fast schon tot —wie ein absterbender Weinstock.
    Hätte er nur gekonnt, wie er wollte! Wäre er nur mutig gewesen! Damals hätte er die Tür hinter sich zuknallen, gehen und seine strengen Eltern zum Teufel schicken müssen — die Konventionen, Traditionen und das ganze Gerede. Aber damals — 1903 — war Somerset erst 18 Jahre alt. Er hört heute noch, wie sein Vater mit der flachen Hand auf den Tisch schlug und zornig verkündete: »Ein Cartwright heiratet keine Magd!«
    Ja, und daraufhin verschwand die besagte Magd, und Somerset hörte nie wieder etwas von ihr. Doch in seinem Herzen lebte sie weiter mit ihren langen schwarzen Haaren, mit ihrem betörenden sechzehnjährigen Körper.
    Ein zugeschnürtes Päckchen mit Briefen kommt ihm seltsam vor. Briefe, die der Notar der Familie damals geschrieben hatte. Dieses Scheusal von Ollie hat ihm nie davon erzählt. Er überfliegt alle Briefe und wird blaß. Nach einer Weile packt ihn ein wahnsinniger Zorn. Das also war es! Um ihn vor einer Dummheit zu bewahren, wie man so schön sagt — wie Eltern oft so schön sagen. Ungeheuerlich!
    Und dennoch, wenn er sich beeilt — wer weiß? Mit ein wenig Glück? Somerset Cartwright will sich jetzt nicht mehr geschlagen geben in diesem Spiel, das vor fünfzig Jahren begann. Im Namen der Liebe will er jetzt um sein Glück kämpfen.
    Der Familiennotar lebt nicht mehr, und sein Nachfolger blickt mit unendlicher Ratlosigkeit auf die vergilbten Papiere und Urkunden, die Somerset vor ihm ausbreitet. »Sehr geehrter Mister Cartwright, ich glaube nicht, daß...«
    »Unmöglich. Ich kannte den Notar meines Vaters sehr gut. Er hat bestimmt Kopien von allen Briefen und Urkunden gemacht. Außerdem hat er ja das Geld überwiesen. Es muß also irgendwo eine Adresse zu finden sein. Ich will — ich muß sie haben.«
    »Aber... sollte diese Adresse wirklich noch zu finden sein, dann ist sie etwa fünfzig Jahre alt. Im übrigen wurde auch nur eine einmalige Abfindung gezahlt. Ihre Chance, diese Frau zu finden, ist gleich null. Wahrscheinlich heißt sie jetzt auch anders, sie hat doch sicher geheiratet. Und außerdem gab es zwei Kriege in der Zwischenzeit.«
    »Sie werden sie finden! Auch wenn sie tot ist,

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