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Der Mann der nicht zu hängen war

Der Mann der nicht zu hängen war

Titel: Der Mann der nicht zu hängen war Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Bellemare
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schamrot — einer Ohnmacht nahe.
    Ja, was ist los? Los ist, daß auf dem ehrwürdigen Hinterteil von Frau B. merkwürdige Buchstaben zu erkennen sind, unlesbar auf den ersten Blick. Die Chefin richtet die Lampe darauf, nimmt sogar eine Lupe zur Hilfe, kann aber keinen Sinn in diesen bizarren Hieroglyphen erkennen. Auf alle Fälle ist für sie offenkundig, daß da mit Sicherheit ein Text, wahrscheinlich eine verschlüsselte Botschaft steht. Die Buchstaben erscheinen sogar in Spiegelschrift! Wenn das kein Beweis ist!
    »Würden Sie vielleicht endlich die Güte haben, mir zu sagen, was Sie so sehr an meinem Hinterteil interessiert? Das ist ja unerträglich! Sind Sie mit Ihrer Untersuchung jetzt fertig?«
    »Wir bitten um Entschuldigung, gnädige Frau, aber das hier, das ist der Beweis: ein... ein Dokument!«
    »Ein was? Der Beweis! Ein Dokument! Sie sind wohl verrückt geworden!«
    Der Chef der Zollstation, der augenblicklich gerufen wird, kratzt sich am Kopf. Er ist total verblüfft: »Das darf doch nicht wahr sein!« Unglaublich! Diese Frau ist also in der Tat eine Spionin. Und sie hat sich eine geniale Methode ausgedacht, einfach genial. In der Gewißheit, daß bei ihrer gesellschaftlichen Stellung niemand es wagen würde — schmuggelt sie also Botschaften auf dem intimsten Teil ihres Körpers.
    Er stürzt zum Telefon, ruft seinen Vorgesetzten an, dieser wiederum seinen Vorgesetzten usw., bis endlich eine Stimme von höchster Stelle anordnet: »Fotografieren Sie das Corpus delicti! Ich will sofort Vergrößerungen haben! Und rufen sie den Chef der Dechiffrierabteilung an. Das Ganze soll sofort entschlüsselt werden, verstanden! Und noch etwas: Halten Sie mir die Dame warm! Nicht, daß sie etwa versucht, das Beweisstück zu verwischen. Stellen Sie es also geschickt an. Sie soll sich auf den Bauch legen und sich nicht bewegen. Auch die Tinte muß sofort analysiert werden, klar? Schauen Sie, wie Sie zurechtkommen. Im Augenblick tragen Sie die volle Verantwortung. Ich hoffe, Sie wissen, was das heißt!«
    Und stundenlang muß nun die arme Frau B., der alles Protestieren und Schreien nichts hilft, die schlimmsten Erniedrigungen über sich ergehen lassen. Es wird fotografiert, mit dem Mikroskop untersucht, hier Großaufnahmen in Schwarzweiß und Farbe, da mit Infrarot. Alles, was auf ihrem Gesäß abgedruckt ist, wird vervielfältigt und per Fernschreiber zur Dechiffrierabteilung des Ministeriums geschickt.
    Die beschwert sich. Es ist alles zu undeutlich. Also Vergrößerungen bitte, von jeder Einzelpartie, und vor allem: schärfere Bilder!
    Was zum Teufel haben diese verwischten Hieroglyphen zu bedeuten? Industriespionage? Vielleicht Konstruktionsdaten von neuen Triebwerken? Oder geheime militärische Berichte der NATO? Vielleicht handelt es sich sogar um eine Liste von Spionen und deren Decknamen! Mit Fotos sogar!
    Für den Geheimdienst wird Großeinsatz angeordnet. Der Ehemann von Frau B. wird aus dem Schlaf gerissen und zum Minister zitiert, den man ebenfalls mitten in der Nacht aus dem Bett geholt hat. Die Nacht vergeht für alle Beteiligten in höchster Aufregung: geheime Nachrichten. Telefonanrufe quer durch Europa, Anordnungen und Gegenanordnungen.
    Und währenddessen erzählt die arme Frau B., gedemütigt und in ohnmächtigem Zorn, zum x-ten Mal ihre Version des Falles: »So glauben Sie mir doch endlich! Die Toiletten hier waren nicht sauber. Ich habe mich auch gleich beim Steward beschwert. Ich ekle mich vor solchen Toiletten, also habe ich eine Zeitung über die Brille gelegt, bevor ich mich draufsetzte. Wahrscheinlich war der Druck noch frisch und hat sich auf meine Haut abgedrückt. Prüfen Sie es doch nach. Es war die >Tribune de Genève<. Ich habe sie natürlich dort gelassen!«
    Nur, leider waren die Putzfrauen der Frühschicht bereits am Werk, und sie haben gründliche Arbeit geleistet. Niemand glaubt Frau B. Und sie bleibt weiterhin auf dem Bauch liegen, während die Vervielfältigungen ihres suspekten Hinterteils in allen möglichen Ministerien die Runde machen. Ein wahrlich übler Spaß!
    Es dauert Stunden, bis ein Angestellter der Dechiffrierabteilung seinen Bericht ganz diskret an die höchste Stelle schickt. Im Morgengrauen kann der Minister endlich die skurrilste Spionageaffäre unserer Zeit ad acta legen: Vor ihm liegt der Bericht über den Inhalt jenes denkwürdigen Informationsträgers, und er liest: Ein Artikel über die Kantonalwahlen in der Schweiz, der Wetterbericht mit Vorhersage, die

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