Der Mann der nicht zu hängen war
Vorauslese betraut. Beurteilt er eine Kandidatin günstig, wird sie vor Seine Majestät geführt. Der prüft sie dann noch einmal und trifft schließlich seine endgültige Entscheidung.
All das klingt wie ein Märchen. Aber es ist wirklich Wahrheit — die reine historische Wahrheit. Zwei Tage oder, besser gesagt, 48 Stunden lang, denn auch die Nächte zählen voll, genossen Clown und Schwertschlucker ihre Ämter — und vor allem die Gunst der schönsten Mädchen des ganzen Landes.
Doch jedes Märchen geht einmal zu Ende. Am 15. August erhält Essad Pascha ein Telegramm des echten Halim Eddine, der klarstellt, daß er seines Wissens nicht zum König von Albanien gekrönt worden sei und daß er dringend Genaueres über diesen Schwindelsultan zu erfahren wünsche.
Außer sich vor Zorn begibt sich Essad Pascha in Begleitung der Wache sofort in die Gemächer von Otto I. Doch Otto Witte und Max Hoffmann, die so talentierten Verwandlungskünstler, haben bereits das Weite gesucht. Als Frauen verkleidet haben sie heimlich den Palast verlassen. In Durazzo fanden sie auch ohne Mühe einen Fischer, der sie nach Italien übersetzte — mit einem Teil des albanischen Staatsschatzes in den Taschen findet man überall auf der Welt Freunde und Helfer.
Indes — der Schatz war bald dahin. Und Otto Witte und Max Hoffmann gingen wieder zum Zirkus, der eine als Clown, der andere als Schwertschlucker. Man hat sie niemals ernsthaft zur Rechenschaft gezogen. Im Gegenteil, die westliche Welt betrachtete diese ihre »Heldentat« eher als eine gelungene Zirkusnummer, und lange Zeit posierte Otto Witte sogar vor Journalisten in seiner prunkvollen Uniform mit rotem Fes, Orden und regenbogenfarbigem Band als Otto I. von Albanien vor seinem Wohnwagen — ein Riesenspaß für Presse und Publikum.
Otto Witte starb am 13. August 1958, auf den Tag 45 Jahre nach seiner Krönung. Ein Clown — ein König — ein Hochstapler — ein Witzbold oder vielleicht auch ganz einfach ein Lump. Jedenfalls sorgte er mit seinem Klamauk für eine der seltenen Komödien in der Hohen Politik.
Fine ungewöhnliche Flucht
I n Budapest schneit es am 3. Januar 1980 — ein Wetter, bei dem man keinen Hund vor die Tür jagt! Und gerade aus diesem Grund machen sich in einem Vorort der ungarischen Hauptstadt vier Personen an einem großen Wagen eifrig zu schaffen. Das Auto steht bereits seit Tagen versteckt in der Garage eines Einfamilienhauses. Zwei Ehepaare und ein schwerer Volvo mit schwedischem Kennzeichen. Vier Menschen, die heute nacht vor der Stunde Null ihres neuen Lebens stehen. Natürlich haben sie Angst. Aber sie haben sich nun mal entschlossen, das Risiko einzugehen. Jetzt ist es soweit. Und jeder zählt auf den anderen. Es gibt kein Zurück mehr.
Einer der beiden Männer, etwa dreißig Jahre alt, braunes Haar, hohe Stirn und dunkle Augen, schlüpft in ein Versteck, das unter den Rücksitzen eingerichtet worden ist. Eine gleichaltrige, außerordentlich schöne Frau, ebenfalls dunkelhaarig und hochgewachsen, bückt sich zu ihm: »Na Liebling, wird’s gehen?«
»Es muß gehen! Es ist ja nur für ein paar Stunden. Bei diesem Wetter werden die Grenzer bestimmt nicht so genau kontrollieren. Ich hoffe es jedenfalls!«
Das zweite Paar hofft es auch. Beide nicken mit dem Kopf, sagen aber nichts. In der eiskalten, finsteren Garage herrscht eine unheimliche Spannung. Der Mann und die Frau, die gleich in den Wagen einsteigen werden, sind auch um die Dreißig herum. Beide so blond wie die anderen dunkelhaarig.
Alles, was hier geschieht, läuft nach einem minutiös ausgearbeiteten Plan ab. Nichts wurde dem Zufall oder dem Schicksal überlassen. Nicht das kleinste Detail.
Es ist nun schon fünf Jahre her, daß Gunnar und Ingrid Johnsonn zum ersten Mal ihre Winterferien in Ungarn verbracht haben. Und seitdem sind sie jedes Jahr wieder gekommen. Zunächst einmal, weil ihnen das Land und die Menschen gut gefallen haben, dann aber auch, weil sie sich mit einem Ehepaar in Budapest angefreundet haben: mit Marta und Mathias Horvath. Sie haben viele gemeinsame Interessen. Die Männer sind beide Ärzte, die Frauen Krankenschwestern.
Als die Johnsonns ihren Winterurlaub nun schon zum zweiten Mal bei ihren neuen ungarischen Freunden verbrachten, entschlossen sich die Horvaths, das schwedische Ehepaar ins Vertrauen zu ziehen: Sie hassen das kommunistische Regime und suchen deshalb schon seit langem nach irgendeiner Möglichkeit, das Land zu verlassen. Also Flucht —
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