Der Mann der nicht zu hängen war
sollen? Ingrid war meine beste Freundin.«
»Aber immerhin, Sie haben Ihren Mann allein fortgehen lassen.«
»Ach, es war alles genau geplant. Jetzt kann ich ja ruhig darüber sprechen. Auch wenn ich deswegen ins Gefängnis komme. Es ist mir egal! Ich sollte jetzt im Sommer mit einem Wagen aus Deutschland über die Grenze gebracht werden, so wie Mathias mit dem schwedischen Wagen. Er wollte vom Westen aus alles organisieren.«
Der Journalist betrachtet diese total gebrochene junge Frau voller Mitleid. Ihr Kummer hat sie sogar so weit gebracht, alle Vorsicht außer acht zu lassen. Wie gerne würde er ihr helfen, wenn er nur könnte.
Er verabschiedet sich. Und Marta beteuert unter Tränen: »Jetzt will ich Ungarn nie mehr verlassen. Auf keinen Fall! Wozu auch...«
Am nächsten Morgen erscheint die skandalöse Liebesgeschichte einschließlich des Fluchthilfeabenteuers in allen Budapester Zeitungen. Die Behörden erklären, daß sie Marta Horvath wegen ihrer Geständnisse nicht belangen werden. Sie sei ein Opfer westlicher Dekadenz und verdiene nichts als Mitgefühl.
Wieder ist ein halbes Jahr vergangen. Wir schreiben den 28. Dezember 1980. Der ungarische Grenzpolizist stutzt, als er die Papiere eines schwedischen Touristen überprüft: »Sie sind Gunnar Johnsonn, der.,.?«
»Ja, genau der bin ich.«
»Fahren Sie bitte an die Seite und steigen Sie aus.« Sofort wird der Wagen gründlichst untersucht.
»Geben Sie sich keine Mühe, dieses Mal gibt es keinen doppelten Boden.«
Und in der Tat, es ist nichts Verdächtiges zu finden, was aber nicht heißt, daß Herr Johnsonn die Grenze ungehindert passieren könnte. Die Grenzpolizei verhaftet ihn, denn ist auch die ganze Angelegenheit persönlich übel für ihn ausgegangen, so hat er sich doch der Fluchthilfe schuldig gemacht. Und darauf steht eine Gefängnisstrafe von mehreren Jahren. Das weiß er wohl. Und wenn er sich jetzt selber ans Messer geliefert hat, so hat er seine Gründe dafür. Die aber möchte er nicht irgendeinem Grenzpolizisten erklären, sondern einem zuständigen höheren Beamten. Dieser trifft ein paar Stunden später ein: »Herr Johnsonn, ich verstehe Sie wirklich nicht! Was wollen Sie hier in Ungarn?«
Gunnar Johnsonn lächelt kaum wahrnehmbar und antwortet sehr ruhig, fast schüchtern: »Ich möchte Marta Horvath sehen.«
»Marta Horvath? Warum?«
»Ich will sie heiraten.«
Der Gebietsleiter glaubt zuerst, sich verhört zu haben. Sicher — er muß falsch verstanden haben. Und so wiederholt er mit äußerst freundlichem Ton: »Warum, sagten Sie, möchten Sie Marta Horvath...«
»Um sie zu heiraten.«
»Aber, aber das ist verrückt! Total verrückt!«
»Nein, überhaupt nicht. Bitte versuchen Sie, mich zu verstehen. Ich gebe ja zu, daß ich nach der Eheschließung meiner Frau mit Herrn Horvath zuerst nur an Rache gedacht habe. Aber das ist vorbei. In den letzten Monaten mußte ich immer mehr an Marta denken. Nur sie allein kann meine Situation und auch meine Gefühle verstehen. Wir haben das gleiche Schicksal erlitten. Und deshalb bin ich hier, verstehen Sie? Ich möchte zu ihr nach Budapest und sie bitten, meine Frau zu werden. Ich weiß zwar nicht, was sie dazu sagen wird. Seit damals haben wir nichts mehr voneinander gehört. Aber wenn sie ja sagt, so hoffe ich, daß uns die ungarischen Behörden die Einwilligung geben — und mir auch erlauben werden, in Ungarn zu leben.«
Der Beamte der Grenzstation ist sichtlich überfordert. Er kratzt sich verlegen am Kopf. An Politisches und an Verwaltungsangelegenheiten ist er gewöhnt, doch diese zwischenstaatliche Liebesgeschichte überschreitet seine Kompetenz. Er muß die Sache nach oben weiterleiten und auf weitere Anweisungen warten.
Nach zwölf Stunden kommt die Antwort, und sie ist positiv: Gunnar Johnsonn darf Marta Horvath besuchen. Erstaunlicherweise wird er wegen des Vergehens, das er als Fluchthelfer auf ungarischem Territorium begangen hat, nicht zur Rechenschaft gezogen. Das Ganze ist schließlich ein Politikum. Und so fährt er kurz darauf mit seinem neuen schwedischen Wagen zu dem Haus in der Nähe von Budapest. Als er ankommt, wartet bereits eine Meute von Journalisten. Das Wiedersehen von Gunnar und Marta wird für Presse und Öffentlichkeit zum Ereignis des Jahres.
Am 29. Dezember 1980 sind die Zeitungen Budapests voll von Artikeln, die anhand dieses abschreckenden Beispiels den ungarischen Bürger belehren, wie verräterisch die Republikflüchtlinge und die Frauen im
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