Der Mann der nicht zu hängen war
seltener Noblesse aufzustehen und begrüßt ihn seinerseits mit einer Art Bruderkuß.
Die Fahrt nach Tirana wird zum Triumphzug. Als die Staatskarosse vor dem Palast angelangt ist, werden die beiden Herren ehrfürchtig gebeten, das vorgesehene Festmahl durch ihre Anwesenheit zu beehren. Und so tun sie den achtzehn Gängen des Mahles Ehre an.
Als sie sich abends endlich in ihre Privatgemächer zurückziehen dürfen, arbeiten sie in Kürze ein sehr einfaches politisches Programm aus: Erstens ist ein Harem einzurichten — jeder mohammedanische König, der auf sich hält, muß einen solchen haben. Otto und Max wissen das. Zweitens muß der künftige König natürlich sofort über die Staatsfinanzen Albaniens verfügen dürfen.
Am folgenden Tag findet eine historische Konferenz in der großen Halle des Palastes statt. Sämtliche Würdenträger des Landes haben hinter Essad Pascha Aufstellung genommen. Der künftige Herrscher hält seinen Einzug auf bemerkenswerte Weise. Er streicht ausführlich über seinen Schnurrbart, dann über das regenbogenfarbige Band, und schließlich verkündet er:
»Zum ersten: Meine Krönung wird übermorgen stattfinden!
Zum zweiten: Hiermit erkläre ich Montenegro den Krieg! General Essad Pascha ernenne ich zum Oberbefehlshaber der Armee!
Zum dritten: In meinem Harem möchte ich keine ausländischen Prinzessinnen haben, sondern nur Töchter aus dem Volke. Sie sollen die legendäre Schönheit der Albanerinnen verkörpern!
Und zum letzten wünsche ich, daß mir sofort die Finanzen des Staates übergeben werden, damit ich jeden nach seinem Verdienst belohnen kann!« Aufbrausender Jubel! Und als die Neuigkeiten in der
Bevölkerung bekannt werden, ist die Begeisterung kaum zu zügeln.
Besonders die Kriegserklärung an Montenegro war eine geniale Idee. Schon seit Jahrhunderten hassen die mohammedanischen Albaner ihre katholischen Nachbarn in Montenegro, wie es auf dem Balkan so üblich ist. Nur — bis jetzt hatte die schwache albanische Armee keinerlei Chancen gegen das viel mächtigere Montenegro. Aber wenn Halim Eddine den Montenegrinern den Krieg erklärt, ist das eine ganz andere Sache! Er ist schließlich der Neffe des Sultans. Das bedeutet, daß die immer noch beträchtliche Militärmacht der Türkei hinter ihm steht, daß er deshalb den Feind zermalmen wird. Wirklich genial! Und außerdem: Wie rührend, wie hochherzig, daß er nur einfache Mädchen aus dem Volke in seinen Harem aufnehmen will! Halim Eddine erhält Beifall ohne Ende — er wird bereits jetzt vom gesamten Volk verehrt und geliebt.
Bei der Krönung am 13. August 1913 wird er wie ein Gott gefeiert. Halim Eddine hat sich entschieden, einen westlichen Thronnamen anzunehmen: Otto I. — eine Geste, deren diplomatische Finesse von den ausländischen Beobachtern dankbar anerkannt wird.
Nach der religiösen Zeremonie in der großen Moschee findet das Krönungsmahl statt, ein denkwürdiges, ein gigantisches Mahl. Ganze Ochsen, Schafe und Kälber werden gegrillt für ein Gelage ohne Beispiel. König Otto I. und sein Vertrauter Max Hoffmann erfreuen sich eines solchen Appetits, daß die Geladenen entzückt sind. Doch bei aller Schwelgerei vergißt der Herrscher dennoch nicht, seinen Verpflichtungen nachzukommen. Er beweist einen schlechthin bewunderungswürdigen Sinn für Politik, indem er großzügig Unmengen von Gold aus dem albanischen Staatsschatz an die Würdenträger des Landes verteilt — an alle und jeden. Selbst die Soldaten seiner Leibwache erhalten ihren Teil: zehn Goldstücke pro Mann.
Erschöpft und berauscht zugleich begeben sich der neue König und sein Vertrauter sehr spät in ihre Gemächer, wo eine weitere süße Überraschung auf sie wartet: Auf den Sofas und Seidenkissen räkeln sich fünfundzwanzig hübsche junge Mädchen — errötende Kandidatinnen für den königlichen Harem. Wenn Otto I. und sein Komplize sich sicher zeit ihres Lebens an den Tag der Krönung erinnern werden — die Nacht darauf werden sie wohl auch nicht vergessen.
Da die Einrichtung eines königlichen Harems auf alle Fälle eine vordringliche Staatsangelegenheit ist, läßt Seine Majestät Otto I. General Essad Pascha wissen, daß er sich ihr von nun an selbst widmen wird. In allen anderen Angelegenheiten vertraue er ihm, Essad Pascha, vollständig. Nur, die Einrichtung des Harems ist eben ein Geschäft von zu weitreichender Bedeutung. Da es aber ungeheuer viele Bewerberinnen gibt, ist Max Hoffmann, der »Türke«, mit der
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