Der Mann der nicht zu hängen war
zur Halbzeit pfeift, führen die Häftlinge schließlich mit fünf zu null.
In der Halbzeit macht José wieder einige Lockerungs-Übungen— eigentlich unnötig, wenn das Spiel so weiterläuft. Seine Kameraden ruhen sich in einer Ecke aus, aber sie diskutieren intensiv über — ja, worüber? José kann sie nicht hören. Er ist zu weit weg, um hören zu können. Sie sprechen auch sehr leise.
Wir mußten für José gewinnen. O. k. Das schaffen wir leicht. Aber was hat er davon? Bist jetzt hat er ja den Ball kaum berührt. Wie soll es da sein Spiel werden? Wir müssen das in der zweiten Halbzeit anders machen: Wir müssen schlecht spielen, so schlecht es nur geht. Nur so hat er die Möglichkeit, sich in Szene zu setzen, unsere »Fehler« wieder gutzumachen. Und nur so hat er die Möglichkeit, ein gutes Spiel zu machen.
Die zweite Halbzeit beginnt, und die Gefangenen hinter den vergitterten Fenstern verstehen die Welt nicht mehr. Das Blatt hat sich total gewendet. Jetzt stürmen nur noch die Wärter und Polizisten. Was ist nur los mit unserer Mannschaft? Kaum einer kommt an den Ball, und wenn, dann verliert er ihn sofort wieder an einen Gegner. Was ist nur auf einmal los? Jetzt zum Beispiel: Ein Polizist auf Rechtsaußen überläuft spielend zwei, drei Abwehrspieler, als wären sie nicht vorhanden. Sie reagieren kaum, scheinen von der ersten Halbzeit total erschöpft zu sein.
Zwanzig Spieler drängen sich auf einmal vor Joses Tor.
Und jetzt muß das Tor fallen. Von wegen: José Campos fliegt auf der Torlinie von einer Ecke in die andere und hält einfach alles. Und bei jeder Parade braust Beifall auf, mehr als bei den Treffern in der ersten Halbzeit für seine Mannschaft. Die Gefangenen haben ihr Idol wieder. Campos rettet die Lage, und es bleibt beim 5:0. Jetzt hört man nur noch rhythmische Sprechchöre: »Cam-pos! Cam-pos!«
Seine Mannschaft aber spielt weiterhin miserabel. Er kommt sich fast vor wie bei einem Elfmeterschießen. Aber er hält einfach alles. Er hechtet, faustet, wirft sich vor die Beine der Gegner. Die Wärter und Polizisten erzielen nicht ein einziges Tor. José ist glücklich. Nicht einmal bei den Profis hat er so ein großes Spiel gemacht. Schlußpfiff. Es bleibt beim fünf zu null und dem riesigen Triumph der Häftlinge über ihre Unterdrücker. Plötzlich betritt ein Trupp bewaffneter Soldaten das Spielfeld auf dem Hof des Gefängnisses. José Campos ist noch ganz berauscht von seinem Erfolg. Er merkt nicht einmal, wie die Männer auf ihn zukommen. Er hat nicht die leiseste Ahnung, was auf ihn zukommt. Erst in der allerletzten Sekunde begreift er, und der Glanz der Begeisterung in seinen Augen weicht einem grenzenlosen Erstaunen.
Alle Gefangenen von Caracas, die dieses Spiel miterlebten, haben es niemals vergessen: Noch auf der Torlinie wurde José Campos erschossen. Das Spiel war zu Ende.
Nichts für ungut, Marschall Bennett
M ister Fly, der Direktor des Modellgefängnisses von Oklahoma-City, hat bis jetzt ganz ruhig in seinem imposanten Sessel hinter seinem ebenso imposanten Schreibtisch gesessen und seinen Besuchern interessiert zugehört. Doch auf einmal springt er auf und schreit fassungslos: »Ist Ihnen eigentlich klar, was Sie da von mir verlangen?«
Vor ihm stehen Senator MacCoy und Marschall Bennett — betreten wie geprügelte Knaben. Sie nicken mit den Köpfen, stumm und ziemlich hilflos. Ja, es ist ihnen klar, ganz klar, wie ungewöhnlich, wie lächerlich ihre »Bitte« dem Direktor vorkommen muß. Aber dennoch, es ist die einzige Lösung. Der Boß der Petrol City Bank hat unmißverständlich und offiziell wissen lassen: »Wenn morgen früh die Löhne und Gehälter in den Unternehmen und Fabriken der Stadt nicht ausbezahlt werden können, garantiere ich für nichts mehr! Es wird ganz bestimmt zu einem Generalstreik kommen. Ich fürchte sogar, zu einer handfesten Revolte der Arbeiterschaft in der ganzen Gegend!«
Mr. Fly geht zum Fenster, denkt angestrengt nach, sucht nach einer anderen, vielleicht doch noch möglichen Lösung. Es dauert eine Weile. Keiner von den drei Männern bewegt sich. Im Büro ist es totenstill. Plötzlich dreht sich der Direktor um und drückt entschlossen auf einen Knopf. Der Senator und der Marschall sehen sich erleichtert an. Ein Wärter klopft an die Tür und kommt herein: »Holen Sie uns bitte den Gefangenen Mick Jennifer. Sofort!«
Kurz darauf erscheint ein etwa vierzigjähriger Mann in dem Zimmer, wo die drei hohen Beamten auf ihn
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