Der Mann der nicht zu hängen war
Ihnen, daß Sie gekommen sind. Danke. Aber ich glaube, Sie hätten sich die Mühe sparen können. Sie sagen doch selber, die Ärzte haben mich schon aufgegeben.«
Jetzt lächelt der kleine Mann mit dem weißen Kittel: »Wenn ich mir die Mühe gespart hätte, ja. Dann wären Sie jetzt sicher tot. Aber ich bin Chirurg, Spezialist für Schädel- und Gehirnverletzungen. Der bekannteste in England. Ich selbst habe Sie sofort operiert. Und Sie sind bis jetzt mein größter Erfolg. In sechs Monaten werden Sie wieder fliegen können, Ehrenwort!« Daraufhin steht der kleine Mann auf, streichelt über den dicken Kopfverband und flüstert glücklich: »Es wäre zu schade gewesen, einen solchen Piloten zu verlieren.«
Der dreiundzwanzigste Spieler
A pril 1954: Venezuela erlebt schwere Zeiten. Seit einem Jahr wütet dort eine unerbittliche Diktatur. Und die Diktatur von Perez Jimenez ist grausamer als alle davor. Die Gefängnisse sind überfüllt — Hinrichtungen gehören zur Tagesordnung, sind zur Routine geworden.
Trotzdem — das Leben geht weiter. Die Menschen haben ihre Alltagssorgen — und ihre Leidenschaften. Und hier steht an erster Stelle der Fußball. In Venezuela, ja in ganz Südamerika, ist Fußball mehr als einfach nur ein Sport: Fußball ist eine Leidenschaft, ein Fest, eine Zeremonie, ja beinahe schon eine Religion. Dort, und nur dort konnte also im April 1954 jenes denkwürdige Spiel stattfinden — ein gespenstisches Spiel. Denn neben den zweiundzwanzig Spielern beider Mannschaften spielte noch ein dreiundzwanzigster mit: der Tod.
Die düsteren Mauern des Gefängnisses von Caracas ragen etwas außerhalb der Stadt auf. Nach dem Staatsstreich von Perez Jimenez sind noch zusätzlich Wachtürme errichtet worden, und die Mauern wurden mit Stacheldraht aufgestockt. Jetzt sieht es noch grauenvoller aus als zuvor. Mehrmals am Tag wird das schwere Portal geöffnet, um einen Militär-LKW mit einem neuen »Kontingent« von Gefangenen hineinzulassen. Und ein- bis zweimal am Tag verläßt ein Lastkraftwagen mit zugeschnürter Plane möglichst unauffällig das Gebäude. Diskret schafft er die Leichen der Hingerichteten weg.
Miguel Braga, der Direktor des Zentralgefängnisses von Caracas, ist nicht etwa ein so blutrünstiger Mann, wie man sich angesichts seiner Funktion vielleicht vorstellen könnte. Er ist einfach ein Beamter, und nur durch eine Folge von Zufällen hat es sich ergeben, daß er gerade im Strafvollzug Karriere machte — lange vor der Diktatur von Jimenez. Nach dessen Machtergreifung hatte Miguel Braga sogar daran gedacht, um seine Entlassung zu bitten. Aber solch ein »Abdanken« hätte unter den neuen politischen Verhältnissen auch sicher sein »Ableben« bedeutet. Und Miguel Braga ist kein Held. Also erledigt er seine Aufgaben und redet sich dabei ein, daß er ja nur Befehle ausführt. Und er bemüht sich wirklich, seine Gefangenen so menschlich wie möglich zu behandeln.
So war es zum Beispiel seine Idee, im Gefängnishof Fußballspiele zu organisieren. Regelmäßig spielen die Häftlinge gegen die Wärter. In dieser abgeschlossenen Welt, wo der Tod zum Alltag gehört, wo der neu eingetroffene Gefangene nicht einmal weiß, ob er vielleicht morgen schon erschossen wird, bedeuten diese Spiele Gnade und Vergessen für einige Stunden. Die Gefangenen. die nicht zur Mannschaft gehören, dürfen durch die vergitterten Fenster zuschauen. Die Wärter sind gleichmäßig um den improvisierten Fußballplatz im Hof verteilt. Und neunzig Minuten lang fiebern sie dann alle zusammen: die Wärter und die Gefangenen. Applaus, Buhrufe, rhythmisches Klatschen, Pfeifen — wie in jedem anderen normalen Stadion auch.
In der Gefangenenmannschaft gibt es einen Star — kein Wunder, denn er ist, oder besser war, Profi. Warum aber wurde José Campos, Schlußmann des Sporting-Clubs von Caracas, verhaftet und ins Gefängnis gebracht? Niemand weiß es genau, er am allerwenigsten. Wie dem auch sei, seitdem José Campos da ist, gewinnt die Häftlingsmannschaft alle Spiele. Er ist einfach unüberwindlich, und alle bewundern ihn.
11. April 1954. Morgen ist Sonntag, und morgen findet ein ganz besonders wichtiges Spiel statt: Die Gefangenen treten gegen eine verstärkte Mannschaft an. Nur wenige der Wärter spielen zusammen mit dem besten Spieler der Polizei von ganz Caracas. Für Miguel Braga, den Direktor, war es ein schweres Stück Arbeit, dieses Spiel zu organisieren, aber in Südamerika ist selbst unter der schlimmsten
Weitere Kostenlose Bücher