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Der Mann der nicht zu hängen war

Der Mann der nicht zu hängen war

Titel: Der Mann der nicht zu hängen war Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Bellemare
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Diktatur alles möglich, wenn es um Fußball geht!
    Die Häftlinge fiebern dem Tag entgegen. Dieses Spiel hat für sie Symbolcharakter: Sie werden gegen ihre Unterdrücker, ihre Peiniger spielen. Sie werden, sie müssen gewinnen! Auch wenn sie noch jahrelang im Gefängnis bleiben sollten, vielleicht sogar sterben müssen — im Fußball werden sie die Sieger sein! Und mit José Campos im Tor können sie gar nicht verlieren.
    Am 11. April, am Tag vor dem Spiel also, bekommt Miguel Braga ein Telegramm. Vom Polizeichef. Wieder ein Hinrichtungsbefehl. Er öffnet das Telegramm und wird blaß. Der Text ist kurz. Nur drei Worte: »José Campos erschießen.«
    Miguel Braga dreht das blaue Papier in seinen Händen hin und her. Das kann doch nicht wahr sein? Doch nicht er, nicht José Campos! Er ist erst 22 Jahre alt. Der Direktor mußte zwar schon jüngere Gefangene erschießen lassen, und die waren wahrscheinlich genauso unschuldig wie José Campos. Aber ein solcher Klasse-Fußballer, ein Volksheld, ein Halbgott für ganz Venezuela — und insgeheim auch für ihn.
    »José Campos erschießen.« Heute noch, am Abend vor dem Spiel. Der Direktor geht nervös in seinem Büro auf und ab, überlegt. Und trifft eine Entscheidung. »Ich muß etwas tun. Es ist nicht viel, aber immerhin — ich schulde es José Campos.«
    Ein paar Minuten später stehen zwei Männer vor ihm im Zimmer: ein Gefangener und ein Wärter, die Kapitäne der beiden Mannschaften. Sie sind etwas überrascht über dieses unübliche Zusammentreffen beim Direktor. Der sieht sie kurz an und sagt schließlich tonlos: »Ich muß José Campos erschießen lassen. Heute abend noch!«
    Starr, wie vom Blitz getroffen, schauen sich die beiden Männer an. Beide sind gleichermaßen erschüttert. »Ich habe aber folgendes beschlossen: Die Hinrichtung wird erst nach dem Spiel stattfinden, und zwar unmittelbar danach. Helfen Sie mir bitte, daß es ein großes Spiel wird, seiner würdig! Und vor allem möchte ich, daß er auf keinen Fall irgend etwas merkt. Haben Sie mich verstanden?«
    Wieder Schweigen. Schließlich erklärt der Gefangene: »Wir werden gewinnen. Für Campos!«
    Am nächsten Tag, dem 12. April, soll das Spiel um 14 Uhr beginnen. Aber schon eine Stunde vorher herrscht eine unglaubliche Stimmung im Gefängnis. Überall an den vergitterten Fenstern kleben die Häftlinge. Sie schreien und singen. Lange haben sie auf diesen Tag gewartet. Mittlerweile ist unten im Hof eine ganze Menge von Wärtern und Polizisten eingetroffen, um ihre Mannschaft anzufeuern. Mit jeder Minute steigt die Spannung.
    Punkt 14 Uhr laufen die Spieler ein. Aus allen Zellen begeisterter, fanatischer Beifall — ein Ausbruch der Freude, der Erwartung. Und nach einer Weile rhythmisches Klatschen und der Sprechchor: »Campos, Campos!«
    Die Spieler unten im Hof läßt die allgemeine Aufregung scheinbar kalt. Sie wirken ernst, beherrscht. Lediglich José Campos scheint richtig vergnügt zu sein. Er tänzelt mit kleinen Schritten durch den Strafraum und macht Lockerungsübungen. Er lacht und grüßt ins Publikum wie ein König bei einer Parade. Seinen Mannschaftskameraden fällt es schwer, ihm zuzusehen. Sie schauen sofort wieder weg. Einige wischen sich mit dem Ärmel über das Gesicht. Und auch die Fußballer der Obrigkeit vermeiden den Blick in seine Richtung.
    Beide Mannschaften haben sich aufgestellt. Der Gefängnisdirektor, der die Funktion des Schiedsrichters übernommen hat, pfeift an, und unter dem Gebrüll des seltsamen Publikums beginnt ein heroisches Spiel. Von Anfang an überrennt die Mannschaft der Gefangenen die der Wärter und Polizisten. Jeder Häftling hat nur einen Gedanken: Wir müssen für Campos Tore schießen, wir müssen für Campos gewinnen!
    Ihre Gegner wissen ganz genau, woran die anderen denken. Sie fühlen sich nicht gerade wohl in ihrer Haut. Sie sind ebenfalls bedrückt und überhaupt nicht bei der Sache. Noch nie haben sie so schlecht gespielt, alle in der Defensive. Kein Spielaufbau, keine Taktik, bloß blinde Befreiungsschläge. Die Häftlinge aber spielen mit vollem Einsatz. Ein einziger erbitterter Sturmlauf. Die Tore fallen zwangsläufig. Eins zu null... zwei zu null... drei zu null... José Campos applaudiert seinen Kameraden, freut sich über die klare Führung seiner Mannschaft, aber ansonsten hat er, von zwei, drei Abschlägen abgesehen, wirklich nichts zu tun und steht ziemlich verlassen in seinem Tor, seinem Strafraum, seiner Spielhälfte. Als Miguel Braga

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