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Der Mann, der nichts vergessen konnte

Titel: Der Mann, der nichts vergessen konnte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Kabine.
    »Wenn die Startbahn nicht für eine Notlandung gebraucht wird, dann bleiben wir, wo wir sind«, befahl Jamila.
    Der Kapitän des Learjet formulierte ihre Anweisung in eine Frage um. »Hier noch mal Allice. Ein Blick in Ihren Flugplan sollte Ihnen zeigen, dass unser Sonderflug absoluten Vorrang hat. Erbitten Auskunft über den Grund der Anordnung. Over.«
    »Allice, wir haben hier ein Problem mit der UK NATS. Deren Rechner sind offenbar abgestürzt. Und jetzt räumt endlich die Piste, Jungs. Over.«
    »Geben Sie mir Ihr Headset«, verlangte Jamila von dem Kopiloten. Der sah seinen Captain an, und als dieser mürrisch zustimmte, bekam sie die Hör-Sprech-Einheit ausgehändigt.
    Sie rückte das schwere Gerät auf ihrem Kopf zurecht und schaltete sich selbst in den Funkverkehr ein.
    »Tower, hier spricht Dr. Jamila Jason von der ›Cyberwar‹ Task Force der NSA. Sie finden mich auf der Passagierliste.«
    Nach einer kurzen Pause antwortete eine hörbar respektvolle Stimme aus dem Kontrollturm. Der Mann brachte seinen Unmut über Jamilas Einmischung auf subtile Weise trotzdem zum Ausdruck, indem er nur Flugzeugkennung, nicht aber ihren Namen benutzte. »84-0110, was gibt es, Ma’am?«
    »Was sind das für Probleme, von denen Sie da sprechen?«
    Es folgte ein Moment der Stille, in dem nur atmosphärisches Rauschen zu hören war, offenbar weil Jamila das »Over« am Ende ihrer Ansage vergessen hatte.
    »Das habe ich bereits erklärt: DdoS bei der UK NATS.
    Over.«
    »Lassen Sie das Fliegerkauderwelsch, Tower. Sprechen Sie Klartext. Over.«
    »Bei der United Kingdom National Air Traffic Services – der zivilen Flugsicherung – sind die Computer ausgefallen. Sie haben schwarze Schirme. Niente. Rien ne va plus. Maschin kapuut. Ist das Klartext genug? Over.«
    »Seit wann kümmert sich die U.S. Air Force um die zivile Flugsicherung? Geben Sie uns endlich die Startfreigabe.«
    Abermals ließ die Antwort aus dem Tower auf sich warten, weil Jamila die Regeln für den Funkverkehr missachtete.

    Dann: »84-0110, wir arbeiten mit unseren Kollegen von NATS zusammen, um alle Vögel heil runterzubekommen.
    Laut ausdrücklicher Anweisung dürfen noch unsere Einsatzkräfte im Luftraum operieren und sonst niemand. Sie sind nur ein Personentransport. Over.«
    »Spreche ich so undeutlich, Tower? Wir sind eine Task Force. Wir sollen dem Chaos da draußen ein Ende machen.
    Wenn Sie mir nicht glauben, dann rufen Sie den Stabschef in Washington an. Over.«
    »84-0110, Sie machen sich jetzt da vom Acker, und zwar sofort. Over.«
    »Negativ, Tower. Sie können uns den Take-off nicht verbieten. Wir werden uns von den zivilen Luftkorridoren fernhalten, aber wir fliegen, selbst wenn wir dazu den Atlantik im Tiefflug überqueren müssten. Wenn Sie was für unsere Sicherheit tun wollen, dann rufen Sie die nächste AWACS-Maschine an. Die wissen genau, wer wo und in welche Richtung fliegt. Over.« Das Airborne Warning and Control System, kurz AWACS, war ein flugzeuggestütztes Radarsystem zur Luftraumaufklärung.
    Jamila wandte sich dem Piloten zu. »Worauf warten Sie noch? Steigen Sie endlich auf!«
    Der Captain schüttelte entrüstet den Kopf. »Das kann ich nicht. Ohne Freigabe vom Tower…«
    »Hier haben Sie die Freigabe«, unterbrach sie ihn, nachdem sie blitzschnell ihre Pistole aus dem Holster gezogen hatte und sie dem Kopiloten in den Nacken drückte.
    Tim hatte die Meinungsverschiedenheit mit wachsendem Unbehagen verfolgt. Beim Anblick der Waffe stieß er einen spitzen Schrei aus.
    Ellison blieb erstaunlich gefasst. »Was soll das? Wenn Sie uns erschießen, kommen Sie nie nach Washington. Oder sind Sie jetzt auch noch Pilotin?«

    Sie lächelte. »Ich habe einen Kurs gemacht.«
    Die Blicke der beiden fochten einen sekundenlangen Ringkampf. Mit einem Mal wandte sich Ellison seinen Armaturen zu und machte sich an die letzten Startvorbereitungen. »Das hat Konsequenzen«, knurrte er.
    »Ja, für Sie, Captain. Ich bringe Sie für Ihre Befehlsverweigerung vors Kriegsgericht.« Sie wandte sich ihrem völlig konsternierten Partner zu, und ihre eben noch so harte Stimme klang wie ausgewechselt. »Besser, du schnallst dich an, Tim. Ich muss hier noch ein paar Dinge überprüfen, dann komme ich wieder zu dir.«
    Benommen machte er auf dem Absatz kehrt und tappte wie ein Schlafwandler zu seinem Platz zurück.
    Etwa zehn Minuten nach dem Start gesellte sich Jamila zu ihm. Ihre Waffe war nicht mehr zu sehen. Sie lächelte, als wäre nichts

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