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Der Mann, der nichts vergessen konnte

Titel: Der Mann, der nichts vergessen konnte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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sehen.
    »Wir tanken in St. John’s, Neufundland, auf. Da gibt’s einen ehemaligen US-Luftwaffenstützpunkt, die Pepperrell Air Force Base.«
    Der Wagen hielt vor einem Schlagbaum, und Jamila zeigte einmal mehr ihren NSA-Ausweis. Inzwischen hatte Tim vor dem Plastikkärtchen einen gehörigen Respekt. Es schien so eine Art Generalschlüssel zu sein, mit dem man in alle Sicherheitsbereiche gelangte. Vielleicht wurde der Wagen aber auch nur ohne Kontrollen durchgewinkt, weil »jemand von ganz oben«, wie es so schön hieß, die Besucher angemeldet hatte.
    Kurz vor vier Uhr bestiegen sie den schneeweißen, zweistrahligen Jet, der sie auf die andere Seite des Atlantiks übersetzen sollte. Tim und Jamila gingen fest davon aus, dass sie von nun an weniger Probleme mit ihrem Transportmittel haben würden als Captain Rodney, der sich an den wahnwitzigen Versuch gemacht hatte, nach London zurückzukehren. Ihre Zuversicht sollte sich jedoch schon bald als fataler Irrtum herausstellen.
    »Ich komme mir vor wie ein kleiner Hosenscheißer«, sagte Tim. Er und Jamila hatten es sich in der dritten von insgesamt vier Sitzreihen in breiten Ledersesseln bequem gemacht. Das Geräusch der Triebwerke drang von draußen herein. Die Maschine rollte zur Startposition.

    »Wegen deines Anfalls im Flughafen?« Sie machte träge eine wegwerfende Geste. »Vergiss es einfach.«
    »Das kann ich nicht. Ich bin der Mann, der…«
    »War nur so eine Redensart«, unterbrach sie ihn, legte den Kopf an die Lehne und schloss müde die Augen. »Du brauchst dich wegen nichts zu schämen, Tim.«
    Es folgte Schweigen, das noch intensiver wurde, als der Learjet das Ende der Piste erreicht hatte und auf die Startfreigabe des Towers wartete. Jamila sah aus, als schliefe sie, und Tim starrte auf das nasse Flugfeld hinaus, als könnte er die Spiegelungen der Lichter auf dem Beton in seinen Geist übertragen, damit sie ihm Geheimnisse verrieten. War es ein Fehler, in die Vereinigten Staaten zu fliegen?
    »Dein Chef scheint ja drüben ein großes Tier zu sein, wenn er mal eben schnell so ein feines Flugzeug für uns besorgen kann«, sagte er aus einem Impuls heraus. Fünfzehn Minuten mochten inzwischen vergangen sein.
    Ihre Augen blieben geschlossen. »Es ist weniger die Position als seine Persönlichkeit, die ihn so mächtig macht. Owl ist ein gewiefter Taktiker. Sein Einfluss reicht weit. Es fällt nicht leicht, ihm einen Wunsch abzuschlagen.«
    »Das kann ich mir vorstellen. Du hast dich ja mächtig ins Zeug gelegt, mich in diese Maschine zu bekommen. Was hat er gesagt, dass du so hartnäckig bist?« Die Worte waren schon heraus, als er seinen herausfordernden Ton bemerkte.
    Jamila öffnete die Augen, wandte sich ihm zu und sah ihn durchdringend an. Eine Weile ließ sie ihn so im Saft seines schlechten Gewissens schmoren, ehe sie antwortete: »Owl sagte: ›Bringe ihn nach Washington, Morgiane. Egal, was es kostet.‹«
    Hiernach löste sie ihren Gurt, erhob sich und ging zum Cockpit.
    »W-was ist los?«, fragte er irritiert.

    »Das versuche ich gerade herauszufinden«, antwortete sie und öffnete die Verbindungstür zur Pilotenkabine.
    Tim schnallte sich ebenfalls los und folgte ihr.
    »Alles in Ordnung, Captain?«, fragte Jamila.
    Der Pilot, Captain Ray Ellison, Rufzeichen »Allice«, war ein Flieger mit dem distinguierten Kopf eines Bankdirektors. Er wandte sich zu ihr um, zog eine Hälfte des Kopfhörers vom Ohr und sagte: »Sie haben im Cockpit nichts verloren, Ma’am.«
    Jamila wiederholte ihre Frage.
    »Irgendwelche Schwierigkeiten. Seit einer Viertelstunde ist kein Vogel mehr aufgestiegen. Der Tower bittet uns zu warten.«
    »Lassen Sie sich nicht vertrösten, Captain. Dieser Flug hat allerhöchste Priorität.«
    Ellison hob die Augenbrauen und zog den Mund in die Breite. »Das behaupten unsere Passagiere immer, Ma’am.«
    »Geben Sie acht, was Sie sagen, Captain.« Jamila hatte nicht einmal die Stimme erhoben, und trotzdem wischte ihre Drohung dem Piloten im Nu das süffisante Grinsen aus dem Gesicht. Tim staunte. Offenbar besaßen auch die Untergebenen Owls im militärischen Machtgefüge eine Sonderstellung.
    Ellison lauschte mit einem Mal angestrengt in seine Kopfhörer.
    »Schalten Sie auf Intercom«, befahl Jamila.
    Der Kopilot leitete auf ein Nicken seines Kommandanten hin den Funkverkehr auf die Cockpitlautsprecher um.
    »… den Runway für landende Maschinen frei und kehren Sie zur Parkposition zurück. Over«, hallte es durch die

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