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Der Mann, der nichts vergessen konnte

Titel: Der Mann, der nichts vergessen konnte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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geschehen.
    Er schüttelte den Kopf. »Wer bist du wirklich, Jamila?«
    Sie ließ das Schloss ihres Sicherheitsgurts einschnappen.
    »Das habe ich dir bereits erklärt.«
    »Von Luftpiraterie war da aber nicht die Rede.«
    »Du meinst die Sache im Cockpit?« Sie lachte. »War nur ein Missverständnis. Captain Ellison hat inzwischen mit dem Air Command gesprochen. Man wird uns nicht abschießen.«
    »Na toll!«, schnaubte er. »Und was wäre passiert, wenn er sich geweigert hätte?«
    Sie legte wieder den Kopf an die Lehne und schloss die Augen. »Du erinnerst dich doch noch, was mein Chef zu mir gesagt hat: ›Bringe ihn nach Washington, Morgiane. Egal, was es kostet.‹«
      
      
      

PHASE V

ENDSPIEL

    Gegenwart
      

    »Jedes Spiel ist eine Nachahmung des Ernstes,  
    jedes Träumen setzt nicht nur ein vergangenes  
    Wachen, auch ein künftiges voraus.
    Der Grund wie der Zweck eines Spiels ist keines;  
    um Ernst, nicht um Spiel wird gespielt.
    Jedes Spiel ist bloß die sanfte Dämmerung,
    die von einem überwundenen Ernst
    zu seinem höhern führt.«

    Jean Paul
      

    Kurz nach Mitternacht setzte der U.S. Air Force Learjet 84-0110 westlich der Hauptstadt zur Landung an. Die Maschine hatte auf dem Luftstützpunkt der Canadian Forces Station St. John’s nur einen kurzen Tankstopp eingelegt und dann umgehend die Reise nach Washington D. C. fortgesetzt. Auf dem Dulles International Airport rollte sie geradewegs zu einer abgelegenen, nur dürftig beleuchteten Parkposition. Die Verabschiedung durch die Crew war kühl.
    »Vermutlich ist es dir recht, Tim, wenn wir uns die Einreiseformalitäten sparen«, erklärte Jamila beim Verlassen des Jets. Sie deutete auf einen bulligen schwarzen Wagen mit auffallend dunkel getönten Scheiben.
    »Ja«, antwortete er, sich durchaus über die Konsequenzen dieser Erleichterung bewusst: Weder Journalisten noch Polizisten würden seinen derzeitigen Aufenthaltsort herausfinden – seine Spur verlor sich in England.
    Bei der Wahl des Transportmittels hatte man sich offenbar vom Trend der Zeit leiten lassen. Es handelte sich um einen Chrysler Aspen, eines jener modischen SUVs, was für Sport Utility Vehicle stand und die Verbindung von unbändiger Kraft, Geländegängigkeit und dem Komfort einer Limousine umschrieb. Obwohl der Innenraum mit drei Sitzreihen alles andere als beengt war, empfand Tim beim Einsteigen Beklemmung. Im Wagen warteten nämlich bereits zwei Agenten in schwarzen Anzügen, die »Men in Black«, wie Jamila scherzhaft bemerkte.
    Inzwischen wusste er, dass im Jargon der NSA tatsächlich eine paramilitärische Einheit so genannt wurde, wenngleich dieses Emergency Reaction Team gewöhnlich in schwarzen Kampfanzügen und anderen martialischen Accessoires auftrat.
    Der Chauffeur des Sport-Nutzvehikels war dunkelhäutig und hatte die Statur eines Hammerwerfers. Er sah aus, als wäre er der Mann fürs Grobe. Auf dem Beifahrersitz lümmelte sich ein schmächtiges Bürschchen mit Sehhilfe und Pickeln im Gesicht.
    »Das ist Squirrel«, stellte ihn Jamila vor. »Seine Passion ist das Hacken. Er wird dafür sorgen, dass es dir an nichts fehlt, durch das man elektrischen Strom jagen kann.«
    »Hi«, sagte Squirrel in Richtung des Gasts.
    Eichhörnchen?, wiederholte Tim in Gedanken. Er hatte noch nie ein Eichhörnchen mit Brille und Akne gesehen. Stumm nickte er dem Agenten zu, während er seine Atemfrequenz kontrollierte.
    »Und der Kollege, der gerade das Lenkrad verbiegt, ist Knight«, fügte sie hinzu.
    Tim begegnete dem Blick des Fahrers im Rückspiegel, und es wurde abermals genickt. Der Deckname des schwarzen Kraftprotzes war vieldeutig, bedeutete er doch nicht nur »Ritter«, das Wort stand auch für den Springer im Schach.
    »Vergibt die Eule eure Pseudonyme?«, fragte er.
    »Natürlich. Owl kontrolliert alles.«
    Der Wagen verließ den Flugplatz durch ein Nebentor und fuhr wenig später über die Dulles Airport Access Road in Richtung Innenstadt. Tim hatte sich einmal von einem millionenschweren Senator als Partydekoration nach Washington einfliegen lassen. Die Route war ihm also bekannt. Müde schloss er die Augen. Die dramatischen Umstände der Abreise hatten ihn während des Fluges wenig Ruhe finden lassen. Außerdem fühlte sich seine Umgebung weniger beengend an, wenn er sie nicht sah.
    »In welchem Hotel checken wir ein?«, hörte er irgendwann Jamilas Stimme neben sich.
    »Ich glaube, der Schuppen heißt The Library of Congress«, frotzelte das

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