Der Mann, der niemals lebte
Bürger der Vereinigten Staaten anwesend, als der Gefangene geschlagen wurde?«, fragte Sheehan. Als Ferris antwortete, dass außer ihm niemand von der Botschaft in der Zelle gewesen sei, schien der Anwalt erleichtert. Das bedeutete, dass die einzige »Zeugin« seine Frau war. Deren – ohnehin nur indirekte – Aussage konnte man gut in Zweifel ziehen.
»Was sollen wir jetzt tun?«, fragte Ferris.
»Es wäre gut, wenn Sie Ihre Frau dazu bringen könnten, ihre Anschuldigungen zu widerrufen. Wem auch immer sie das gesagt hat, sie soll ihm mitteilen, dass sie sich jetzt nicht mehr so sicher sei. Das würde es für alle Beteiligten um einiges leichter machen, auch für Ihre Frau.«
»Das glaube ich nicht. Meine Frau will nämlich erreichen, dass ich mich nicht von ihr scheiden lasse. Aber darauf werde ich mich nicht einlassen.«
»Verstehe«, sagte Sheehan. »Aber vielleicht gibt es ja auch etwas, das sie nicht will. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich gebe Ihnen damit keinen Rat, aber manchmal kommt jemand von der Gegenseite ja zu dem Schluss, dass es nicht unbedingt in seinem Interesse sein kann, wenn die Sache weiterverfolgt wird.«
»Nicht in ihrem Interesse«, wiederholte Ferris. Das war ein Konzept, das Christina bestimmt verstehen würde.
Ferris wartete bis neun Uhr abends, bevor er Christina in ihrer Wohnung anrief. Er stand vor dem Haus auf dem Gehsteig, und als sie abhob, beendete er die Verbindung, ging nach oben und klingelte an der Tür. Christina hatte die Sperrkette vorgelegt und ließ ihn zunächst nicht in die Wohnung. Ferris fragte sich, ob vielleicht ein anderer Mann bei ihr war, aber wie sich herausstellte, war sie nur mit irgendwelchen Schönheitsprozeduren beschäftigt.
»Was für eine Überraschung«, sagte sie und öffnete die Kette. »Bist du endlich vernünftig geworden?«
Christina hatte einen langen, schwarzen Pullover über ihre Bluse gezogen, die sie noch vom Büro trug. An ihrer Stimme hörte Ferris, dass sie wohl schon ihren abendlichen Martini hinter sich hatte. Als sie ihn mit ihren schönen Augen ansah und sein Blick auf ihre leicht geöffneten Lippen fiel, musste Ferris sich bewusst ins Gedächtnis rufen, dass diese Frau ihn ruinieren wollte.
»Ich weiß, was du vorhast«, sagte er. »Du willst mich fertigmachen. Aber das wird dir nicht gelingen.«
»Sei doch nicht albern, Roger. Wie könnte ich einen großen, starken CIA-Agenten wie dich denn fertigmachen? Du leidest wohl unter Verfolgungswahn. Dabei bist du doch derjenige, der mich fertigmachen will, indem er sich von mir scheiden lässt.«
»Ich hatte heute einen Termin bei der Generalinspektion der CIA, und danach habe ich mir einen renommierten Anwalt genommen. Ich weiß, was du vorhast, aber deine Rechnung wird nicht aufgehen. Es gibt keine Beweise und keine Zeugen. Deine Aussage steht gegen meine, und dass du wütend auf mich bist, weil ich mich von dir scheiden lassen will, macht dich nicht besonders glaubwürdig. Ich werde vor Gericht unter Eid aussagen, dass ich nichts von einem Folterverhör im Jemen weiß. Und jeder halbwegs vernünftige Richter auf der ganzen Welt wird glauben, dass du dir das alles ausgedacht hast, um dich an mir zu rächen. Der Fall ist jetzt schon so gut wie verloren für dich, glaub mir das. Das Problem ist nur, dass ich keine Zeit für die ganzen juristischen Manöver habe. Deshalb bitte ich dich jetzt, deine Anschuldigungen zurückzuziehen. Sag einfach, dass du dich geirrt hast und dass es dir leidtut. Stopp die ganze Sache, dann sind wir quitt.«
Christinas Lachen klang bemüht und ein wenig angetrunken. »Das ist doch absurd, Roger. Jetzt machst du dich aber wirklich lächerlich.«
»Sieh zu, dass du deine Aussage zurücknimmst«, wiederholte Ferris. »Ich meine das wirklich ernst.« Seine Stimme war kalt und unnachgiebig, und einen Augenblick lang wirkte sie wirklich verblüfft. Doch sie erholte sich rasch und nannte ihm ihren Preis.
»Für einen Mann, der sich von mir scheiden lassen will, werde ich keinen Finger rühren. Du bist der Einzige, der dieses Problem lösen kann. Es liegt ganz in deiner Hand … Liebling. Als deine Frau würde ich natürlich niemals gegen meinen Mann aussagen, als zukünftige Exfrau sieht die Sache ganz anders aus. Es ist also deine Entscheidung.«
»Ich habe mich schon entschieden. Und meine Antwort lautet nein.«
»Nein zu was?«
»Nein zu deinem Erpressungsversuch. Ich bleibe nicht mit dir verheiratet, um zu verhindern, dass du etwas aussagst,
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