Der Mann, der niemals lebte
verletzt habe. Christinas Anwalt rief auch bei Sheehan an, unterrichtete ihn von ihrem Sinneswandel und bat ihn, Mr. Ferris mitzuteilen, dass seine Frau in die Scheidung einwillige.
Ferris konnte sich über seinen Sieg nicht richtig freuen, weil er wusste, dass er einen Vertrauensbruch begangen hatte. Christina hatte ihn fertigmachen wollen, aber sie hatte es getan, weil sie ihn liebte, und er hatte sich vollkommen rücksichtslos dagegen verteidigt. Das hatte bei Christina offenbar den Bann gebrochen. Wenn er sie nicht mehr liebte, gab es für sie auch keinen Grund mehr, ihn zu halten. Sie kämpfte keinen verlorenen Kampf, und außerdem würde sie sich schon bald vor neuen Verehrern nicht mehr retten können. Sie war eine begehrenswerte Frau, das wusste sie genau. Ferris hatte zwar darauf gesetzt, dass sie über kurz oder lang zur Vernunft kam, aber dass es so rasch geschehen würde, hatte er dann doch nicht erwartet.
»Und jetzt machen Sie sich wieder an die Arbeit!«, sagte Hoffman, nachdem er Ferris über eine sichere Leitung darüber informiert hatte, dass die Ermittlungen gegen ihn eingestellt worden seien. Ein Flugzeug der CIA stand am Nachmittag für ihn bereit, um ihn an einen Ort zu bringen, den Hoffman ihm noch nicht nennen wollte. Damit war klar, dass es sich nicht um Amman handeln konnte.
»Ich möchte Harry Meeker sehen«, sagte Ferris.
»Harry wartet im Kühlraum auf Sie. Der läuft Ihnen nicht davon, glauben Sie mir. Wir stehen kurz davor, ihn zu Süleyman zu schicken, aber vorher müssen wir uns noch um ein paar Einzelheiten kümmern. Deshalb habe ich auch das Flugzeug für Sie bestellt. Bald bringen wir die Sache ins Rollen, aber die letzten Vorbereitungen müssen mit ganz besonderer Sorgfalt getroffen werden.«
Ferris hielt inne. Er war bereit, wieder loszulegen – mehr noch: Er sehnte sich förmlich danach. Aber tief in seinem Hinterkopf war da noch eine Frage, die ihm keine Ruhe ließ.
»Darf ich Sie etwas fragen?«
»Schießen Sie los, mein Junge. Mal sehen, ob ich Ihnen eine Antwort geben kann.«
»Was haben Sie damals eigentlich gemacht, als Sie Mark Sheehan gebraucht haben, um Sie rauszuhauen?«
Hoffman klang ein wenig müde, als ob ihm die Erinnerung irgendwie die Kraft raubte. »Das wollen Sie gar nicht wissen«, sagte er.
»O doch«, erwiderte Ferris. »Ich glaube, es ist etwas, was wir beide gemeinsam haben, oder?«
»Sagen wir einfach: Ich habe eine Grenze überschritten. Eine ganz entscheidende Grenze. Sheehan musste meinen Vorgesetzten nahelegen, so zu tun, als wäre nichts passiert.«
»Und was war das für eine Grenze?«
»Genau das ist der Teil, den Sie nicht wissen müssen.«
»Hören Sie schon auf, Ed. Sie wollen, dass ich die Drecksarbeit für Sie erledige, also treiben Sie keine Spielchen mit mir. Was war das für eine Grenze?«
Hoffman seufzte verärgert. Offenbar war es leichter nachzugeben, als sich weiter von Ferris bedrängen zu lassen.
»Die Grenze lautet: Du sollst nicht töten. Niemand gibt das gerne zu, aber in unserem Geschäft kann man sie manchmal einfach nicht respektieren. Genau das habe ich getan. Es war etwas ganz Ähnliches wie das, was Ihnen bei dem Verhör im Jemen passiert ist, aber es ging um mehr Leute und über einen längeren Zeitraum. Fragen Sie mich niemals wieder danach. Und vergessen Sie eines nicht: Wenn ich sage, ich bin bereit, alles zu tun, was nötig ist, dann meine ich das auch so.«
Ankara/Incirlik
Zwei Tage später landete ein weißer Gulfstream-Jet mit Ferris an Bord in Ankara. Mit dem Taxi fuhr er von dem altmodischen Flughafen bis zum Ankara Hilton, einem sterilen Wolkenkratzer mitten im Diplomatenviertel.
Es war ein bitterkalter Dezembertag. Ein eisiger Wind aus der anatolischen Ebene peitschte durch die Stadt, die Einwohner eilten in Schals und dicken Pullovern durch die Straßen und stemmten sich mit hochgezogenen Schultern gegen die Kälte. Gräuliche Dampfwölkchen stiegen von den Autos, den Häusern und den Mündern der Menschen auf. Vor Jahrzehnten war dies eine Stadt gewesen, in der es zwar zahllose Moscheen gegeben hatte, aber kaum einen Muslim – so fest hatten die regierenden Generäle die säkularen Fesseln gezurrt. Doch inzwischen hatte auch die Türkei zum Islam zurückgefunden, und außerhalb des internationalen Viertels sah man in Ankara kaum noch eine Frau ohne Kopftuch.
Nachdem Ferris sein Hotelzimmer bezogen hatte, rief er Omar Sadiki in Amman an. Er sprach mit Brad Scanions
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