Der Mann, der niemals lebte
vorhabe, die Türken oder einen anderen befreundeten Geheimdienst zu informieren, und der Jordanier reagierte mit einem weiteren dünnen Lächeln.
»Im Augenblick nicht«, sagte er. »Das bleibt unser kleines Geheimnis.«
Als Ferris das Gespräch eine Dreiviertelstunde später für Hoffman wiederholte, wurde er von neuem nervös, denn Hoffman murmelte in einem fort: »Scheiße, Scheiße, Scheiße!«, als hörte er gerade die denkbar schlimmsten Nachrichten. Doch als Ferris zum Ende kam und von Hanis Entschluss erzählte, Sadiki vorläufig in Ruhe zu lassen, stieß Hoffman ein erleichtertes: »Gott sei Dank!« hervor, und Ferris wurde klar, wie besorgt auch sein Chef darüber war, dass die Operation möglicherweise platzen könnte.
»Glauben Sie, er weiß Bescheid?«, fragte Hoffman.
»Wie meinen Sie das?«
»Glauben Sie, er weiß, was für Spielchen wir mit Sadiki treiben?«
»Möglich wäre es. Er ist ja nicht blöd. Aber eigentlich glaube ich das nicht. Wir haben uns schließlich nach allen Seiten abgesichert. Wenn er weitersucht, wird er nur immer mehr von den Spuren finden, die wir gelegt haben.«
»Die Legende steht, das stimmt. Und Hani kocht auch nur mit Wasser, das sage ich Ihnen ja schon die ganze Zeit. Ich denke, wir sind auf der sicheren Seite. Soll ich rüberkommen und mit ihm reden?«
»Nur wenn Sie vorhaben, ihn in die Operation einzuweihen. Falls nicht, wird er bestimmt nur misstrauisch, wenn Sie extra nach Jordanien kommen. Er wird glauben, dass Sie schon wieder versuchen, ihn im großen Stil auszutricksen.«
»Womit er gar nicht so unrecht hätte.«
»Stimmt. Aber das brauchen wir ja nicht an die große Glocke zu hängen.«
»Fröhliche Weihnachten«, sagte Hoffman. Inzwischen war es tatsächlich Heiligabend.
Später am Abend war Ferris mit Alice in ihrer Wohnung verabredet. Sie trug eine rote Nikolausmütze schräg auf dem Kopf, hatte Rouge aufgelegt und sah damit ein bisschen so aus, als wäre sie einem Weihnachts-Werbespot für schottischen Whisky entsprungen. Ferris, der mehrere Wochen lang fort gewesen war, hatte schon befürchtet, dass sie Weihnachten in Boston bei ihrer Familie verbringen würde. Doch nun stand sie hier vor ihm und war schöner als in seinen kühnsten Träumen.
Alice schlang ihm die Arme um den Hals, stellte sich auf die Zehenspitzen, um ihn zu küssen, und drückte ihn dann fest an sich. Als sie ihm mit den Händen über den Rücken fuhr, spürte sie jede einzelne Rippe.
»Was ist denn los mit dir? Hast du das Essen eingestellt? Du hast mindestens fünf Kilo abgenommen.«
»Ich hatte viel zu tun. Und wenig Zeit zum Essen.«
»Und jetzt bist du nur noch Haut und Knochen. Hoffen wir, dass du wenigstens noch ein bisschen Energie für heute Nacht übrig hast.« Sie bedachte ihn mit einem verschmitzten Lächeln.
Dann führte sie ihn in den verwunschenen Garten ihrer Wohnung. Im Wohnzimmer stand ein Weihnachtsbaum, eine windschiefe Zeder, die unter der Reise vom Libanon hierher merklich gelitten hatte; mit ihren Lichtern, dem gläsernem Christbaumschmuck und dem Lametta sah sie aber dennoch prächtig aus. Wo hatte Alice das in Amman bloß alles aufgetrieben? Aus dem CD-Player erklangen Weihnachtslieder, und unter dem Baum lag ein Halbdutzend bunt verpackter Geschenke. Ferris hatte am Nachmittag gerade noch Zeit genug gehabt, selbst ein paar Einkäufe zu machen. Jetzt holte er seine Päckchen aus der Tüte und legte sie behutsam daneben.
Alice ging in die Küche und kam mit zwei Gläsern Wein zurück. Sie tranken, und als sie sich schließlich ein bisschen beschwipst fühlten, fuhr Alice sanft: mit dem Finger am Bund seiner Hose entlang bis zum Reißverschluss.
»Noch nicht«, sagte Ferris. »Ich muss erst noch ein bisschen mehr in Weihnachtsstimmung kommen.« In Wahrheit fühlte er sich einfach nicht bereit für Intimitäten. Seit er so überstürzt aus Amman abgereist war, hatte sich viel zu viel in ihm angesammelt, was er ihr nicht erzählt hatte. Bei ihren wenigen Telefonaten hatte er auch nichts sagen wollen – Hani hatte inzwischen mit Sicherheit auch ihr Telefon angezapft – und war einsilbig und kurz angebunden gewesen. »Ich kann jetzt nicht lange reden«, hatte er gesagt. »Ich erkläre dir alles später.« Und Alice hatte verstanden. Sie hatte sich bereits so weit an sein Leben angepasst, um zu begreifen, dass es Zeiten gab, zu denen sie ihm einfach seinen Raum lassen und warten musste, bis er bereit war, ihr mehr zu erzählen.
Und jetzt erzählte
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