Der Mann, der niemals lebte
womöglich eine Verbindung zwischen den beiden vermuten.
»Ich denke, es ist besser so«, sagte er. »Solche Gruppen können schnell aus dem Ruder laufen.«
»Die nicht. Sie waren wirklich anständig. Sadiki hat mich sogar auf ein paar Ideen für neue Projekte gebracht.«
Ferris wählte seine Worte mit Bedacht. »Der Mann ist gefährlich, glaub mir. Andernfalls hätte der Mukhabarat doch sicher niemanden zu euch geschickt. Ihr werdet bestimmt andere Spender finden.«
Alice löste sich aus der Wärme seiner Umarmung und richtete sich kerzengerade auf.
»Was verschweigst du mir eigentlich, Roger? Glaubst du im Ernst, ich merke nicht, dass du jedes Mal Panik kriegst, wenn von diesem Mann die Rede ist?«
»Bitte frag nicht weiter. Es gibt Dinge, die ich dir nicht sagen kann, das weißt du. Vergiss einfach, dass ich je von Sadiki angefangen habe. Vergiss alles.«
»Erzähl es mir, Roger. Wenn du mich liebst, musst du es mir erzählen.«
Ferris befiel eine Art Schwindelgefühl. Am liebsten hätte er ihr die ganze Geschichte erzählt und damit all das aus der Welt geschafft, was sie noch trennte. Aber er durfte einfach nicht, das wusste er genau – und so manövrierte er zurück zu den Lügen, von denen er sich einredete, dass sie nur zu Alices Schutz dienten.
»Es tut mir leid, aber über gewisse Angelegenheiten darf ich einfach nicht mit dir sprechen. Das wäre zu gefährlich.«
»Was meinst du damit? Wie kann die Wahrheit denn gefährlich sein? Nur Lügen sind das.«
Ferris legte den Arm um sie. Erst schüttelte sie ihn ab, doch er versuchte es noch ein zweites Mal, und diesmal duldete sie seinen Arm um ihre Schultern. Er hielt sie sanft, bis ihr Körper sich wieder entspannte und sie das Fragen aufgab – oder zumindest die Hoffnung, dass er ihr jemals Antworten geben würde.
»Halt dich fern von diesem Krieg, Alice, ich bitte dich. Es gehen schon viel zu viele Menschen daran kaputt. Und es kann einfach nichts Gutes dabei herauskommen, solange er nicht vorbei ist.«
Sie stand auf und ging ins Bad, und als sie wiederkam, wirkte sie gefasster und gleichzeitig vorsichtiger. Es hatte sich etwas zwischen ihnen verändert. Ferris spürte das, aber er konnte nichts dagegen tun. Später am Abend packten sie unter dem Weihnachtsbaum ihre Geschenke aus. Alice hatte ihm einen wunderschönen arabischen Thoub gekauft, der mit goldenen Stickereien verziert war und eines Prinzen würdig gewesen wäre, und dazu einen roten Fes als Kopfbedeckung, wie ihn die alten osmanischen Paschas getragen haben. Ferris hatte ihr ebenfalls etwas zum Anziehen gekauft, ein wunderschönes Kleid von Ferragamo, das er in der Boutique des Four Seasons entdeckt hatte. Doch das wichtigste Geschenk hob er bis ganz zuletzt auf. Es steckte in einer kleinen Schachtel: ein brillantbesetzter Verlobungsring.
Als Alice die Schachtel aufmachte und sah, was sich darin befand, brach sie in Tränen aus. Sie musste sogar einen Augenblick aus dem Zimmer gehen, um sich wieder zu beruhigen. Als sie zurückkam, küsste sie Ferris und sagte ihm, dass sie ihn liebe. Dann steckte sie den Ring wieder in die Schachtel und gab sie ihm zurück. »Ich kann das nicht annehmen, Roger, zumindest nicht jetzt. Erst muss ich wissen, wer du wirklich bist.«
Langleg/Washington
Am Tag nach Weihnachten wurde Ferris zurück in die CIA-Zentrale beordert. Den ersten Weihnachtsfeiertag hatte er mit Alice verbracht. Sie hatten viel geschwiegen, hatten Sätze begonnen und nicht beendet. Was sagt ein Mann einer Frau, die seinen Heiratsantrag abgelehnt hat? Was sagt eine Frau einem Mann, von dem sie weiß, dass er sie belügt? Und wie bringt ein Mann einer Frau bei, dass alles nur noch schlimmer würde, wenn er ihre Fragen beantwortete? »Wir, die wir den Boden bereiten wollten für Freundlichkeit, konnten selbst nicht freundlich sein«, hatte Bertolt Brecht einmal geschrieben. Und um der Wahrheit den Boden zu bereiten, konnte Ferris jetzt nicht die Wahrheit sagen. Alice tat alles, um den Weihnachtstag festlich zu gestalten. Sie briet einen Truthahn, den sie irgendwo auf den Märkten der Stadt aufgetrieben hatte, und trug ihre rote Nikolausmütze, bis Ferris sie bat, sie abzunehmen.
Dann rief Hoffman ihn auf dem Handy an, was er bisher noch nie getan hatte, und sagte ihm, er solle so schnell wie möglich in die Staaten zurückkommen. Für Ferris war das gewissermaßen eine Erleichterung, und er redete sich ein, dass Alice ohne ihn sicherer war.
Washington war tief verschneit.
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