Der Mann, der niemals lebte
ihm, sich im Bett aufzusetzen. Sie fragte ihn, ob er es auch bequem habe, und Ferris bejahte. Dann prüfte sie den Verband an dem geschienten Finger und den an der Amputationswunde und erklärte, es verheile alles sehr gut.
»Da wäre jemand, der Sie gern sprechen möchte, falls Sie sich kräftig genug dafür fühlen«, sagte sie und half ihm dann beim Aufstehen. Obwohl er sich nach allem, was er durchgemacht hatte, noch schwach fühlte, konnte Ferris doch selbstständig im Zimmer auf und ab gehen. Die Krankenschwester reichte ihm Hemd und Hose, und als er sie nahm, sah er, dass es seine eigene Kleidung war, aus dem Schrank in seinem Schlafzimmer zu Hause in Amman. Ein interessantes Detail, auch wenn er keine Ahnung hatte, was das bedeutete.
»Wo bin ich?«, erkundigte er sich.
»In Tripolis«, antwortete die Krankenschwester. »Im Libanon.«
War das alles ein Traum? Die Krankenschwester half ihm, sich anzuziehen, dann führte sie Ferris einen langen Gang entlang zu einer schweren Eichentür. Dort klopfte sie einmal und rief: »Ya, Pascha!« Von drinnen erwiderte eine Stimme etwas auf Arabisch, und die Krankenschwester öffnete die Tür.
Hani Salaam saß in einem von zwei großen Sesseln am anderen Ende des Raumes. Er rauchte eine Zigarre, und seine Miene drückte tiefste Zufriedenheit aus. Ferris hatte bei seinem Anblick sogar das Gefühl, nie zuvor einen so zufriedenen Menschen gesehen zu haben. Die Vorstellung war vorbei. Vor ihm saß der arabische Prospero, der über Meere, Himmel und Wind herrschte, Ungeheuer und Träume erschaffen und mit unsichtbarer Hand seine Akteure gelenkt hatte, die in ihrer Verblendung auch noch geglaubt hatten, bei diesem Stück selbst Regie zu führen. Er hatte Schwarz in Weiß und Weiß wieder in Schwarz verwandelt.
»Mein lieber Roger«, sagte er, erhob sich und schloss Ferris in die Arme. »Sie sehen garnicht schlecht aus, wenn man bedenkt, was Sie alles durchgemacht haben. Möchten Sie eine Zigarre? Bitte, nehmen Sie doch eine. Sie sind ein Held. Sie haben mehr Leben gerettet, als Sie sich selbst vorstellen können, vielleicht sogar noch mehr, als einer von uns jemals ermessen wird.«
Ferris musterte Hani, und als er den Pascha so vor sich sah, konnte er sich trotz allen Zorns, den er empfand, ein Lächeln nicht verkneifen: der Schnurrbart sorgfältig gestutzt, das Haar frisch geschnitten und gefärbt, sodass es glänzte wie bei einem Filmstar, dazu ein neues Sportsakko aus blauem Kaschmir mit feinen, gelben Nadelstreifen und ein glänzendes Paar nagelneuer Schuhe.
»Ja, ich nehme eine Zigarre«, sagte Ferris. Hani reichte ihm eine Romeo y Julieta, eine von den langen, dicken, die gemeinhin als Churchills bezeichnet werden. Ferris schob sie zwischen die Lippen, und Hani zündete ein langes Streichholz an und hielt es an das Ende der Zigarre.
Ferris nahm ein paar Züge und legte dann die Beine auf den gepolsterten Fußschemel, der zwischen ihnen stand.
»Sie schulden mir einen Finger«, sagte er.
»Das ist richtig. Einen Finger und noch einiges mehr. Aber wir machen das wieder gut, das verspreche ich Ihnen. Ich bin Ihnen zugetan wie meinem eigenen Sohn. Das war schon immer so. Umso schmerzlicher war es für mich, dass ich Sie täuschen musste. Aber ich tröste mich damit, dass es ja einem guten Zweck gedient hat, wie ihr Amerikaner immer sagt. Ihren Finger bringt das natürlich auch nicht wieder zurück, was ich von ganzem Herzen bedauere. Ich hatte gehofft, meine Männer würden rechtzeitig dort sein, um so etwas zu verhindern. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass sie so schnell mit der Folter beginnen würden. Schließlich waren Sie doch ein ‹Überläufer›. Als wir Sie schreien hörten, haben wir natürlich unverzüglich gehandelt, aber da war es leider schon etwas zu spät.«
»Sie haben sich das alles ausgedacht!« Die Empörung in Ferris’ Stimme mischte sich mit Bewunderung. »Sie haben das alles inszeniert. Und Hoffman hatte keine Ahnung.«
»Ja, ich habe das alles inszeniert.« Der Jordanier zog an seiner Zigarre. »Sie wissen doch, das hier ist meine Welt. Ich weiß, wie sie funktioniert. Ihr Amerikaner werdet hier immer nur Gäste bleiben. Ihr versucht zwar, das alles zu begreifen, aber im Grunde ist das völlig unmöglich. Deshalb macht ihr auch einen Fehler nach dem anderen. Bedauerlicherweise wisst ihr in eurer Arroganz nicht einmal, was ihr alles nicht wisst. Als mir das nach dieser unglückseligen Angelegenheit in Berlin wieder einmal
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